Trotz Corona wollten die Musiker ein Zelenka-Werk aufführen. Für das Konzert ohne Publikum mussten sie nach Wiesbaden ausweichen – in Mainz war wegen des Virus schon alles dicht.
MAINZ. Derzeit sind sie in aller Munde: die „Geisterspiele“ in der Fußball-Bundesliga. Bislang mussten die Kicker auf Fan-Gesänge meist nur verzichten, wenn sie vom DFB-Sportgericht aufgrund unsportlichen Verhaltens ihrer Anhänger dazu verdonnert wurden. Nun hat Corona die Spiele abgeblasen und die Diskussion um Ball-Duelle ohne Publikum neu befeuert.
Tatsächlich gibt es Derartiges Pandemie-bedingt auch in einem anderen Bereich: Wo sonst aufmerksame Zuhörer lauschen, sind die Ränge und Kirchenbänke in Konzerten auf absehbare Zeit leer, Termine abgesagt, die Sänger und Instrumentalisten schweigen.
Man muss an den berühmten Vorspann in einem Asterix-Heft denken, als BarockVokal, das Exzellenzprogramm der Hochschule für Musik Mainz, verkündete, trotz Corona das im jüngsten Projekt erarbeitete Werk, die „Lamentationes Jeremiae Prophetae“ von Jan Dismas Zelenka (1679-1745), dennoch in einem „Geisterkonzert“ ohne Livegäste zu Gehör zu bringen. Sozusagen: „Ganz Mainz ist vom Coronavirus besetzt. Ganz Mainz? Nein! Ein von unbeugsamen Gesangsbegeisterten bevölkerter Meisterkurs hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten…“
Als Professor Martin Lutz zusammen mit Larissa Botos (Alt), Jonathan Darbourne (Altus), Erik Reinhardt (Tenor), Sen Wang (Tenor) und Christian Wagner (Bariton) sowie den Instrumentalisten von „Parnassi Musici“ in Mainz am 9. März mit den Proben begann, war Corona zwar schon präsent, aber doch noch weit weg, erinnert sich Reinhardt. Aber bald schon begannen die Diskussionen: Kann das in der Augustinerkirche geplante Konzert am darauffolgenden Samstag stattfinden? Zur Wochenmitte kristallisierte sich heraus: Nein.
Doch aufgeben wollte Lutz nicht, schließlich waren alle mit großer Begeisterung dabei, die Musik Zelenkas für sich zu entdecken. Man habe täglich sechs Stunden lang die hoch komplexe Musik des großen tschechischen Barockmeisters mehr und mehr durchdrungen: „Solche Arbeit erfordert hohe Konzentration, bringt aber ausgesprochene Glückserlebnisse – Musik, die sich immer klarer erschließt, die jedem Detail des lateinischen Textes nachgeht und hochexpressive Klangbilder findet“, schwärmt Lutz. Natürlich wurde während des Kurses auf den nötigen Abstand zwischen den Musikern und besondere Hygienemaßnahmen geachtet. Auch wenn Händeschütteln nicht geboten war: Geistliches und allzu Weltliches gingen hier automatisch Hand in Hand. Christian Wagner erinnert sich an eine spannende Zeit, in der die Hochschule sich immer mehr leerte: „Die Stimmung war trotzdem toll, auch wenn es von Tag zu Tag mehr Hiobsbotschaften gab. Sicherlich hat uns gerade auch diese wunderbare Musik Zelenkas durch die Arbeitsphase getragen.“
Und schnell wurde allen klar: Ein Kurs ohne Konzert wäre ein Unding, die Arbeit sollte auf keinen Fall umsonst gewesen sein. Nachdem jedoch die Augustinerkirche ihre Pforten geschlossen hatte, wollte man das Konzert in der Hochschule aufnehmen und ins Netz stellen. Doch auch hier hieß es bald: geschlossen. Mainz war also dicht, aber Wiesbaden – sprich die Christophoruskirche als früherer Arbeitsplatz des einstigen Kantors Lutz – noch nicht. Und so nahm man dort am 15. März alle Zelenka-Stücke mit kurzen Pausen nacheinander auf und stellte sie in neun Videos ins Netz. Mit optischen Abstrichen ist das Ergebnis beachtlich, und vor allem die musikalische Darbietung der BarockVokal-Künstler ist einmal mehr von großer Güte. Irgendwie passte es ja auch: „Dass wir ausgerechnet die Lamentationes, also Klagelieder, musizierten, hatte eine ganz eigene Qualität“, erinnert sich Erik Reinhardt: „Die Aktualität hat das Ganze sicherlich noch mal intensiviert.“
Vor einer leeren Kirche zu singen, war für die Kursteilnehmer zwar keine neue Erfahrung – bei CD-Aufnahmen sitzt schließlich auch kein Zuhörer im Gestühl; aber eben eine andere, schließlich wurde das „Geisterkonzert“ als Notlösung komplett improvisiert.
Wenn irgend möglich, soll es später „in echt“ nachgeholt werden. Ob es weitere solche Formate geben wird, diskutiert die Szene derzeit aktiv: „Es werden viele Ideen entwickelt. Und ich bin mir sicher, dass da noch einiges kommen wird“, meint Reinhardt. Wobei nicht nur er ein lebendiges Publikum den „Geistern“ natürlich vorzieht.