Schulleiterin: „Brennpunktschulen brauchen kleinere Klassen”

Die Weichen für die Zukunft eines Kindes werden bereits in der Grundschule gestellt.

Bundesweit schneiden Grundschüler, was Mindestanforderungen angeht, schlechter ab als vor fünf Jahren. Ein Gespräch dazu mit Gabriele Erlenwein, Leiterin einer Mainzer Grundschule.

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Gabriele Erlenwein leitet seit 21 Jahren die Goethe-Grundschule in der Mainzer Neustadt.
Gabriele Erlenwein leitet seit 21 Jahren die Goethe-Grundschule in der Mainzer Neustadt. (© hbz/Jörg Henkel)

Frau Erlenwein, ist die Situation tatsächlich so schlimm?

Ich würde schon sagen: Das trifft auch auf unsere Schule zu. Die Evaluierung, die wir dazu haben, haben wir ja im dritten Schuljahr mit den VERA-Untersuchungen. Und die weisen eindeutig auf diese Zahlen hin. Im Übrigen mit steigender Tendenz.

Was sind die Gründe dafür?

Ich denke, das hat viele Ursachen. Zwei Jahre Pandemie sind auch an den Kindern nicht spurlos vorübergegangen. Ein weiterer Grund ist, dass immer wieder und immer mehr Unterricht an den Grundschulen durch Studenten erteilt wird, die für das Lehramt an Gymnasien ausgebildet werden. Viele von ihnen haben lediglich einen Bachelor, manche noch nicht einmal den. Hier fehlt es an grundlegendem Wissen über die Didaktik der Grundschule. Aber auch die Situation in den Kitas spielt eine Rolle. Die Kinder kommen, insbesondere was die Sprachkompetenz anbelangt, nicht mehr so gut vorbereitet aus den Kitas, wie das noch vor Jahren war, weil auch dort der Fachkräftemangel noch deutlicher als in den Schulen zum Tragen kommt. 

Das heißt, das Problem wird durchgereicht?

So könnte man sagen. Hinzu kommt: An vielen Schulen haben wir immer wieder Kinder, die aus Ländern kommen, wo sie zum Teil nur einen rudimentären Schulbesuch hatten. Die dazugehörigen Eltern haben ebenfalls oft ein eher rudimentäres Schulinteresse. Dadurch kommen auf die Lehrkräfte immer mehr Aufgaben zu. Für eine Schule wie die unsere ist es zudem ein Problem, dass wir relativ große Klassen haben. Meist sind es 22, 23 Kinder pro Klasse. Für das neue Schuljahr schließe ich vor dem Hintergrund der vielen neuen Wohngebiete in der Neustadt nicht aus, dass die Schule gar fünfzügig wird. Und da mache ich mir dann schon Gedanken, ob wir dafür genügend qualifiziertes Personal haben werden. 

Im bundesweiten Vergleich sind die Klassen in Rheinland-Pfalz doch vergleichsweise klein?

Ja, das Land reüssiert damit, dass es bundesweit die kleinsten Klassen hat. Das mag von der nackten Zahl her richtig sein. Aber die ist irreführend. Man müsste viel mehr im Vergleich der Schulen schauen, wo sind die größeren, wo sind die kleineren Klassen? Wenn es in einem gutbürgerlichen Mainzer Vorort oder auf dem Land zweizügige Schulen gibt mit jeweils 13, 14, 15 Kindern in einer Klasse und in der nördlichen Neustadt, in Mombach oder auch in anderen Städten wie Ludwigshafen große Schulen mit herausfordernden Problemen und 23, 24 Kindern pro Klasse, dann ist das ein Unterschied.

Wie kann man das lösen?

Eigentlich müsste man festlegen, klassische Brennpunktschulen wie die unsere dürfen nicht mehr als maximal 18 Kinder pro Klasse haben. Das hatten wir früher einmal über die sogenannte „Doppelzählung” von Migrantenkindern, die damals unter bestimmten Voraussetzungen möglich war und die uns gestrichen wurde, als das Land die Klassenmesszahl gesenkt hat. Die Ministerin mag das wahrscheinlich nicht mehr hören. Ich bin aber der Meinung: Dieses Thema muss man wachhalten. Wir Brennpunktschulen haben die Senkung der Klassenmesszahl bezahlt.

Im Interview mit unserer Zeitung hat Bildungsministerin Dr. Stefanie Hubig unter anderem gesagt, in Rheinland-Pfalz habe man nach dem Bildungstrend von 2016, der für das Land nicht gut ausgefallen sei, ein Maßnahmenpaket aufgesetzt, das bereits Wirkung zeige. Hat dieses „Paket” auch Ihrer Ansicht nach gegriffen?

Dazu müsste man wissen, welches „Paket“ genau gemeint ist. Für uns Schulen „in herausfordernden Lagen“ gibt es z. B. das Schulentwicklungsprogramm S⁴. Ich will das Programm nicht schlecht reden, aber tatsächlich hatten wir uns davon mehr versprochen. Vor allem im Hinblick auf mehr und vielfältigere Ressourcen. Es läuft darauf hinaus, dass wir Schulleitungen fortgebildet werden. Wunderbar fortgebildet werden, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Aber das ändert nichts wirklich an den Problemen, die wir vor Ort haben.

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Was wünschen Sie sich von der Politik?

Wir würden uns beispielsweise wie schon erwähnt wünschen, dass die Klassenmesszahl bei uns gesenkt wird. Auch, dass Klassenleitungen Koordinierungsstunden bekommen. Denn die müssen eben nicht nur Stunden vorbereiten, sondern eine Vielzahl von Kooperationen wachhalten. Mit dem Jugendamt. Mit Erziehungsberatungsstellen. Mit therapeutischen Tagesgruppen. Es vergeht keine Woche, in der eine Klassenleitung an einer Brennpunktschule kein Hilfeplan-Gespräch hat. Wir haben eine Vielzahl von Kindern mit sozial-emotionalen Problemen bei uns. Es müssen Anträge für Förder- und Beratungszentren gestellt werden. Sie müssen mit den Kollegen in diesen Zentren kooperieren. Es muss mit Förderplänen gearbeitet werden. Es wäre wichtig, dass für Schulen wie unsere die besten Lehrerinnen und Lehrer ausgewählt werden und dass es vielleicht einen Bonus dafür gibt, dass sie zu uns kommen. Vielleicht, dass man ihnen direkt eine Planstelle gibt, Entlastungsstunden etc. Das sind so Punkte, bei denen bei uns genauer hingeguckt werden müsste. Die Crux von diesem S⁴-Programm ist gewesen, dass man uns nie gefragt hat, was wir wirklich brauchen.

Ministerin Hubig hat auch erklärt, das Land habe forschungsbasierte Diagnose- und Förderprogramme für Deutsch und Mathematik eingeführt. Diese zeigten den Lehrkräften nicht nur, welchen Leistungsstand Schülerinnen und Schüler haben, sondern auch, was sie tun können, damit Lücken geschlossen werden. Wie fällt Ihr Praxisurteil aus?

Diagnostik ist wichtig und richtig – abgesehen davon weiß eine erfahrene Klassenlehrerin ihre Kinder auch selbst einzuschätzen. Was häufig danach aber fehlt, ist die Manpower, um die gewonnenen Erkenntnisse individuell und gezielt anzugehen.

Ministerin Hubig hat im Interview auch gesagt: „Wir bewegen uns bei der Wochenstundenzahl für Mathematik schon jetzt genau in dem Rahmen, den die Kommission vorgibt. Nur in Deutsch liegen wir minimal unter der Vorgabe, darum kümmern wir uns.“ Reichen die Wochenstunden und ist Ihre Schule dafür ausreichend ausgestattet?

Die Stunden reichen, solange alle an Bord sind. Dann haben wir sogar Kapazitäten für Fördermaßnahmen. Aber es darf niemand krank werden, auch nicht das Kind der Lehrkraft, um das sie sich dann als Mutter kümmern muss. Was macht man dann? In der Regel löst man erst mal die Förderstunden auf. Dadurch fehlt es häufig an der notwendigen Kontinuität. Wenn alle an Bord sind, sind wir tatsächlich personell nicht schlecht ausgestattet. Aber wann ist man das schon?