250 Interessierte nehmen an öffentlicher Erkundungstour durch die Liegenschaft teil. Im Herbst plant der Verein Kulturbäckerei Beteiligungsworkshops.
MAINZ. Volles Haus in der Kommissbrotbäckerei. Ein Bild, das es schon lange nicht mehr gab. Joachim Schulte vom Verein Kulturbäckerei strahlt über beide Ohren: „Mit dieser Resonanz hätten wir nicht gerechnet.“ Vorbereitet war der Verein aber durchaus auf die rund 250 Besucher. Im 15-Minuten-Takt wurden sie in kleinen Gruppen durch die leeren Räumlichkeiten des Gebäudes geführt, in dem ein soziokulturelles Zentrum entstehen könnte. Und das Staunen über das mögliche Potenzial auf den rund 3000 Quadratmetern war groß. Die Vorfreude nicht minder.
Wie berichtet, hat die Mainzer Wohnbau das gesamte Areal Ende Juli offiziell von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) als vorheriger Besitzer übernommen. Stand jetzt wird das stadtnahe Unternehmen inklusive Kaufpreis 50 Millionen Euro investieren. Über die genaue Kaufsumme haben Wohnbau und BImA Stillschweigen vereinbart. Bis circa 2023 sollen in der Rheinallee 111 insgesamt 145 Wohnungen (darunter auch geförderter Wohnraum) und einige Gewerbeeinheiten entstehen.
Im eigentlichen ehemaligen Bäckereigebäude, das unter Denkmalschutz steht, wäre eine kulturelle Nutzung möglich, beispielsweise durch den Verein Kulturbäckerei. Die Wohnbau wünscht sich jedenfalls einen Generalmieter und ist den Ideen der Kulturbäckerei gegenüber aufgeschlossen.
„Der Verein versteht sich als Ort mit Beteiligungsmöglichkeiten“, sagte Schulte. In den kommenden Wochen sind in den Räumlichkeiten der Kommissbrotbäckerei zwei Workshops geplant: am Freitag, 27. September, und am Freitag, 25. Oktober – jeweils von 17 Uhr bis circa 20 Uhr. Sie sollen als Ideenwerkstatt dienen, um Konzepte für die Zukunft des Gebäudes zu entwickeln.
Vereinsmitglied Jürgen Waldmann zeigte bei der Erkundungstour „Durchweg“, wo im Erdgeschoss ein Veranstaltungsraum mit Bühnentechnik und -ausstattung für Konzerte oder darstellende Kunst entstehen könnte. Hier stellt sich der Verein auch Gastronomie im Sinne einer Begegnungsstätte und eine seperate Galerie vor. Im Keller wären Lagerräume und Musikproberäume denkbar; in den beiden Obergeschossen Räume für Vereine und Familienfeiern, Künstlerateliers, nichtkommerzielle Projekträume und Sozialräume.
Und die Kulturbäckerei will jetzt schon mit ihrem Programm loslegen. Vorerst hofft sie auf eine Zwischennutzung in der Kommissbrotbäckerei, alternativ soll auf andere Räumlichkeiten oder Orte unter freiem Himmel ausgewichen werden.
Architektur-Professor Emil Hädler beschäftigt sich mit der Kommissbrotbäckerei seit vielen Jahren und schwärmte in einer Rede von seinem Wert als „Kulturdenkmal“. Eine Besonderheit sei das Stahl-Betonverbund-Bauprinzip: Dabei handelt es sich um eine seinerzeit bahnbrechende Bauweise aus Straßburg. „Heute baut so Hinz und Kunz“, sagte Hädler. Damals sei die äußerst stabile Bauweise „bahnbrechend“ gewesen. Da es Haupt- und Nebenträger im Gebäude gebe, könne man im Inneren mit dem Baukastenprinzip spielen. Und da der Bau in den Treppenaufgängen über zwei nachträglich eingebaute Lastenaufzüge verfüge, lasse sich mit großer Wahrscheinlichkeit Barrierefreiheit herstellen.
Für eine Stippvisite mit Grußwort schaute auch Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) im OB-Wahlkampfmarathon in der Rheinallee 111 vorbei. „Quer durch die Republik hat die Bundeswehr viel zu große Liegenschaften, aber sie bekomme diese nicht geordnet“, sagte er. So habe auch die Kommissbrotbäckerei seit Jahren nahezu leer gestanden. Nachdem der Bund bereit war, die Immobilie zu veräußern, habe man noch ein kleines „Kämpfchen“ austragen müssen. „Damit sie am Ende nicht zum Höchstpreis auf dem Markt landet.“ Schließlich habe die Mainzer Wohnbau zugreifen können. „Das eröffnet die Perspektive, die Gestaltung gemeinsam mit dem Stadtteil und vor allen Dingen mit dem lang gehegten Wunsch aus der Neustadt nach einem Soziokulturellen Zentrum.“
Neustadt-Ortsvorsteher Christoph Hand (Grüne) machte deutlich, dass Kunst und Kultur sich selten selbst trage. Deshalb sei der Verein auf finanzielle Unterstützung angewiesen. „Hierbei ist auch die Stadt gefordert“, betonte Hand. „Die Förderung von Kultur ist in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen.“
Der Verein selbst rechnet mit einer Jahresmiete von mindestens 150 000 Euro. Hand möchte unter anderem Gespräche mit der Zollhafen GmbH führen. In den kommenden Jahren unterstützt sie den Verein Kulturbäckerei mit jeweils 12 000 Euro, um die Sponsorensuche voranzutreiben. Vielleicht, so Hands Hoffnung, geht da noch mehr.