Gerhard Trabert, Erster Vorsitzender des Vereins „Armut und Gesundheit in Deutschland“, ruft im Interview zu mehr Einsatz in der Armutsbekämpfung auf.
MAINZ. Gerhard Trabert, Erster Vorsitzender des Vereins „Armut und Gesundheit in Deutschland“, nimmt den „Internationalen Tag zur Beseitigung der Armut“ zum Anlass, auf die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich aufmerksam zu machen.
Herr Trabert, heute ist der „Internationale Tag zur Beseitigung der Armut“. Was bedeutet dieser Gedenk- und Aktionstag für Sie persönlich und für Ihre Arbeit?
Nicht nur an diesem Tag soll man an das Phänomen Armut in unserer Gesellschaft denken. Aber das ist etwas, das zunimmt in diesem sehr reichen Land. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer mehr auseinander. Und wir benutzen diesen Tag, um auf dieses Phänomen hinzuweisen. Um besonders auch darauf hinzuweisen, dass immer mehr Menschen davon betroffen sind und, dass es eine Verbindung zu Krankheit gibt. Menschen, die von Armut betroffen sind, hier in diesem Land, sind kränker und sie sterben früher.
Wer ist in Ihren Augen arm?
Es gibt eine internationale Definition. Danach ist jeder, der weniger als einen US-Dollar Einkommen pro Tag hat, arm. Es gibt eine europäische Definition: Wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens verdient, zählt als von Armut betroffen. Jeder Bezieher von Hartz IV, von Sozialgeld, von Arbeitslosenhilfe, ist damit von Einkommensarmut betroffen. Aber das ist nur ein Phänomen. Es gibt auch ganz andere Faktoren, die man berücksichtigen müsste, wie zum Beispiel Bildung und die Infrastruktur des Wohnraumes. Es gibt auch so etwas wie Beziehungsarmut. Wir konzentrieren uns aber auf das Thema Einkommensarmut. Denn in dieser Gesellschaft ist es wichtig, über finanzielle Ressourcen zu verfügen. Nur dann kann ich an vielen Bereichen wirklich teilhaben.
Sie haben auf der ganzen Welt schon viel Armut gesehen. Sind die Menschen in Deutschland wirklich arm?
Die Menschen in Deutschland sind arm. Ich plädiere dafür, nicht Armut mit Armut zu vergleichen. Sicherlich sterben Menschen in Afrika, weil sie nicht genug zu essen und zu trinken haben. Bei uns sterben Menschen aus anderen Gründen. Wir wissen zum Beispiel, dass langzeitarbeitslose Menschen im Vergleich zu Erwerbstätigen eine zwanzigfach höhere Suizid-Quote haben, weil sie sich nicht mehr als wichtig empfinden und, weil sie keine Arbeit mehr bekommen. Und das führt zu Selbstzweifeln, Depressionen und einer erhöhten Suizidalität. Wenn man das reichste und das ärmste Viertel Deutschlands miteinander vergleicht, sieht man, arme Frauen sterben acht Jahre früher und arme Männer sogar elf Jahre früher als privilegierte Menschen. Auch in Deutschland bedeutet Armut früher zu sterben.
Es gibt unterschiedliche Modelle, mit welchen Sie Menschen medizinisch und psychosozial unterstützen. Wie sehen diese Modelle aus?
Angefangen hat es mit wohnungslosen Menschen. Wir haben das „Arztmobil“. Das ist eine fahrbare Ambulanz, quasi ein Sprechzimmer. Damit fahren wir zu den Menschen: in die Tiefgarage, an die Domplätze, in ein Wäldchen, wo sie übernachten und bieten dort unsere Hilfe an. Wir haben die „Poliklinik ohne Grenzen“ auf der Zitadelle, mit über 30 ehrenamtlichen Ärzten. Dazu gehört auch eine soziale Beratung, die dafür sorgt, wenn möglich, die Menschen in das Regelsystem zurück zu integrieren. Wir haben den „Street Jumper“. Das ist ein Wohnmobil mit dem wir zu sozialen Brennpunkten in dieser Stadt fahren und zu einer Sammelunterkunft. Wir haben einen „Snoezel-Raum“. Das ist ein Wohlfühlraum in einer Brennpunktschule.
Von Adriana Heide