Gastbeitrag - Gerhard Trabert im Waisenhaus von Mougnon

Gerhard Trabert inmitten der Waisenkinder in Mougnon. Foto: Gehard Trabert

Erneut hat der Mainzer Arzt Gerhard Trabert bei einem medizinischen Hilfseinsatz in Afrika das Leid von Kindern erlebt. Dieses Mal war er in Benin und berichtet hier in einem...

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MAINZ / BENIN. Ich befinde mich im westafrikanischen Benin, einem Land mit etwa elf Millionen Einwohnern. Der Weg führt mich zum Waisenhaus Centre Tabitha Dorcas in dem kleinen Dorf Mougnon, etwa drei Autostunden von Benins Hauptstadt Cotonou entfernt. In diesem Waisenhaus leben derzeit 72 Kinder. Es wird geleitet von Pastor Euloge Ahouignan und dessen Hilfsorganisation, unterstützt von dem Deutschen Volontär-Hilfswerk „Weltwärts“ und einer weiteren deutschen Hilfsorganisation mit dem Namen „Kinderhilfswerk“ mit Sitz in Thüringen. Zwei junge Frauen unterstützen das Waisenhaus als FSJ-lerinnen.

Eindrücke aus dem Waisenhaus in Mougnon.
Eindrücke aus dem Waisenhaus in Mougnon.
Eindrücke aus dem Waisenhaus in Mougnon.
Eindrücke aus dem Waisenhaus in Mougnon.
Eindrücke aus dem Waisenhaus in Mougnon.
Eindrücke aus dem Waisenhaus in Mougnon.
Eindrücke aus dem Waisenhaus in Mougnon.
Eindrücke aus dem Waisenhaus in Mougnon.

Wir erhalten eine Führung über das Waisenhausgelände: Ein größerer Aufenthaltsraum, Schlafsäle, die Toiletteneinrichtungen, den Bolzplatz mit zwei provisorischen Toren aus Holzstangen und Motorradräder auf Holzpfosten als Basketballkörbe. Zudem gibt es eine überdachte Küche im Freien sowie einige alte Spielplatzgeräte. Und schließlich gelangen wir in die neu errichtete Krankenstation, unser Untersuchungs- und Behandlungsgebäude in den kommenden Tagen, spärlich und ärmlich eingerichtet. Die Kinder umlagern uns, sind dabei neugierig, aber nicht aufdringlich.

Diese befinden sich nicht nur dort, weil ihre Eltern verstorben sind. Sie leben in dem Waisenhaus, da sie Verstoßene sind, nicht gewollte Kinder, Ausgesetzte, Misshandelte, seelisch und körperlich missbrauchte Kinder und Jugendliche. Unter anderem, weil ihre Eltern an Aids oder Malaria verstorben sind, und die Kinder in neuen Familien nicht angenommen werden.

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Verstoßene Hexenkinder

Es gibt aber auch Hexenkinder in dem Waisenhaus. Das sind Kinder, deren Geburt aufgrund des in Benins stark vorherrschenden Voodoo-Kults für den Tod eines Familienangehörigen verantwortlich gemacht wird. Dies geschieht absolut willkürlich. Hierfür kann markanter Gesichtausdruck ausschlaggebend sein oder ein auffälliger Blick. Absoluter Blödsinn, aber in Benin Realität.

Ein solches Hexenkind ist Carlos, ein zehnjähriger Junge, dessen Mutter früh starb und schließlich von seinem alkoholkranken Vater misshandelt und verstoßen wurde. Bevor er in das Waisenhaus von Mougnon kam, lebte er mehrere Jahre auf der Straße. Während meines Aufenthalts wir Carlos zu meinem ständigen Begleiter. Stets möchte er meinen Rucksack mit meinem medizinischen Equipment zur Sprechstunde tragen. In seinen Kontaktaufnahmen und Berührungen ist er sehr respektvoll und einfühlsam, niemals fordernd oder drängend.

Auch Deo wurde als Hexenkind verstoßen. Bei ihm macht sich die erschütternde Politik des Staates Benin bemerkbar, denn Deo muss bald zurück in die Familie, die ihn verstoßen hat. Der Grund: das Kinderheim muss 20 Kinder zurückgeben, die noch Eltern haben, damit mehr Straßenkinder aufgenommen werden können. Im Prinzip ist das ja eine gute und nachvollziehbare Maßnahme, aber für die Kinder, die im Centre Tabitha Dorcas schon mehrere Jahre leben und zurück in ihre Familie müssen, ist es eine neuerliche Traumatisierung.

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Nach Diebstahl Hände verbrannt

Und dann ist da noch Espoir. Seine Geschichte ist eine besonders tragische. Der Sechsjährige wurde von seiner Herkunftsfamilie komplett vernachlässigt und bekam so gut wie nichts zu essen. Daraufhin stahl er im Alter von drei Jahren auf dem Dorfmarkt etwas zum Essen. Für diese Tat wurde er brutal bestraft: Man legte ihm glühende Kohlen in die Hände, wodurch er Verbrennungen dritten Grades erlitt. Als er ins Kinderheim von Mougnon kam, konnte er seine Hände kaum benutzen. Mit Hilfe von Spendengelder aus Deutschland konnten beide Hände mit einer Hauttransplantation operiert werden. Espoir wäre allerdings bei dieser Operation fast verstorben, denn er erlitt einen Herz-Kreislauf-Stillstand und musste reanimiert werden. Heidi Jelic, unsere Physiotherapeutin, massiert liebevoll, die mittlerweile wieder entstandenen Kontrakturen in den Handinnenflächen. Espoir massiert im Anschluss dann Heidis Handinnenflächen – sofort realisierte Dankbarkeit. Ich frage mich immer wieder, woher nehmen diese misshandelten und ausgestoßenen Kinder ihre soziale Empathie, die jederzeit spürbar ist.

Neben diesen gibt es viele weitere Kinder-Schicksale in Benin, die symptomatisch für Afrika sind.

An zwei Tagen untersucht mein Team 76 Kinder. Den meisten geht es körperlich ganz gut. Das seelische Leid ist oft nur zu erahnen, an Blicken, an Gesten, an der Melancholie und Trauer in ihren Augen. Dennoch haben wir alle viel Spaß bei den Untersuchungen, es wird viel gelacht. Es hat den Anschein, dass die Kids noch nicht so oft so gründlich untersucht wurden und sie auch noch vom Arzt gefragt werden, ob ihnen irgendetwas weh tut. Das wichtigste ist allerdings, das ich keine Spritze gebe.

Unprofessionelle Einstellung des Arztes

Was mich überrascht, ist der Arzt vor Ort. Sein ärztliches Gehabe ist mir etwas suspekt. Ich bin als Arzt im Ausland immer sehr zurückhaltend und möchte nicht als der fremde Besserwisser erscheinen, aber dieser Arzt ist in meinen Augen fahrlässig. Beispielsweise verlangte er von einem Heimkind vor einigen Wochen, dass dieses trotz gebrochenen Beins, wieder schnell anfangen soll zu belasten, obwohl die Bruchstelle noch nicht verheilt war. Bei einem anderen Jungen haben wir ebenfalls den Verdacht auf eine Fraktur des Unterarmes oder des Daumengrundgelenkes. Auch bei diesem Jungen ist der Arzt sehr zögerlich mit der Durchführung einer Röntgenaufnahme, obwohl wir für beide Untersuchungen klar kommunizieren, dass wir die Kosten übernehmen. Der Arzt scheint die Symptome seiner kleinen Patienten einfach nicht ernst zu nehmen. So auch bei Judith. Das Mädchen klagt über Bauchschmerzen und wird vom Waisenhausarzt jedoch nur oberflächlich untersucht. Als ich auf einen Bluttest bestehe, willigt er nur zögerlich ein. Ich bin, was wohl auch dem Kollegen nicht entgangen ist, ungehalten und zunehmend sauer über seine Verweigerungshaltung. Später stellt sich heraus: Das Mädchen hat Malaria und Typhus.

Insgesamt entwickeln die Kinder während unseres Aufenthalts immer mehr Vertrauen zu uns. Wir führen morgens und abends unsere Wundsprechstunde mit Verbandswechseln durch. Die Wunden heilen zusehends und die Schmerzen lassen bei den Kindern sichtlich nach. Lustig ist dabei, dass jetzt immer mehr Kinder, gerade auch die ganz Kleinen zu uns kommen und uns dann eine winzig kleine Wunde zeigen. Diese wird von uns mit einem Pflaster oder einer Wundsalbe behandelt, und der kleine Patient geht mit einem Lächeln im Gesicht ganz stolz zurück zu seinen Spielkameraden.

Bei vielen Heimkindern habe ich zudem den Verdacht, dass eine Wurminfektion vorliegt. Ich entschließe mich eine Entwurmungstherapie aller Heimkinder dem Heimleiter anzubieten. Der Pastor nimmt dankend an. Eine Entwurmungstherapie besteht lediglich aus einer Tablette. Nach Einnahme dieser Tablette, ist man für sechs Monate vor den wichtigsten Wurmerkrankungen, die in Afrika sehr häufig vorkommen, geschützt.

Hilfe ist wichtig für die Kinder

Es ist so wichtig, dass die Kinder ihren Platz zum Ausruhen und Entwickeln in diesem Heim gefunden haben. Einen Ort der Sicherheit, des regelmäßigen Essens, des Spielens und der Fürsorge. Wir dürfen die Menschen und besonders die Kinder Afrikas einfach nicht vergessen. Und wir müssen uns immer wieder deutlich machen, dass der Reichtum Europas sehr viel mit der Armut Afrikas zu tun hat.

Wir, als Verein Armut und Gesundheit, werden eine Partnerschaft mit der Krankenstation des Heimes eingehen. Medizinisches Equipment und Verbandsmaterial sowie Medikamente im Wert von etwa 1.000 Euro habe ich bereits vor Ort gelassen. Unser nächstes Ziel ist die Durchführung einer Tetanus-Schutzimpfung für alle Heimbewohner.

Zuletzt muss ich nach reiflicher Überlegung allerdings noch zwei kritische Anmerkungen kommunizieren. Ich empfinde es als sehr fragwürdig, ja schon verantwortungslos, dass der Freiwilligen-Dienstvermittler weltwärts e.V. zwei junge Menschen ohne fachliche Begleitung, ohne pädagogische Anleitung in dieses Heim gesandt hat. In diesem Zusammenhang ist auch die Kinderhilfe Westafrika Thüringen zu kritisieren. Bezüglich dieser Hilfsorganisation irritiert mich massiv der Facebook-Auftritt des ersten Vorsitzenden, Herr Torsten Krauße. Seine persönliche Facebook-Seite ist offen antiislamisch und hat in meinen Augen schon rassistische Elemente. So ein Verhalten ist nicht zu akzeptieren.

Dennoch bleibt natürlich der Eindruck, dass ohne dieses Heim, diese Zufluchtsmöglichkeit und die dortige Fürsorge, die Kinder auf dem so ausgebeuteten und vergessenen afrikanischen Kontinent verloren wären.

Von Gerhard Trabert