Ein Zufluchtsort für obdachlose Frauen

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Wendepunkt-Leiterin Ina Raiser am Eingang in der Nahestraße 7. Auf sechs Etagen verteilen sich die Räume der Einrichtung. Foto: Harald Kaster
© Harald Kaster

Der Mainzer Wendepunkt hilft Frauen in sozialen Notlagen. Hier können sie vorübergehend wohnen und werden unterstützt, wieder auf die Füße zu kommen.

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MAINZ. Die Scham ist bei vielen Frauen stark ausgeprägt. Deshalb vertuschen sie ihre Not, so lange es irgendwie geht. Dann werden Schulden angesammelt, Straftaten begangen und auch Drogen genommen. Wenn sie kein eigenes Dach mehr über dem Kopf haben, begeben sich einige Betroffenen lieber in Abhängigkeiten, als auf der Straße zu landen. Beispielsweise, indem sie bei Bekannten oder Familienmitgliedern auf dem Sofa schlafen. Notfalls lassen sie sich sogar auf Männer ein, die ihre Situation schamlos ausnutzen, indem sie „Dienstleistungen“ als Dank erwarten.

Schutz für Frauen in Wohnungsnot bietet der Wendepunkt. Die Mainzer Einrichtung wurde 1991 gegründet. In dieser Zeit haben über 1600 Frauen in der Nahestraße 7 ein vorübergehendes Zuhause gefunden. Viele davon auch mit ihren Kindern. „Wer hierher kommt, ist in einen Strudel geraten“, sagt Ina Raiser, die Leiterin des Wendepunktes. Die Einrichtung bietet aber weitaus mehr als nur einen Übernachtungsplatz. Das zehnköpfige Team hilft den Frauen dabei, wieder auf die Füße zu kommen, einen Job und eine Wohnung zu finden.

Manche bleiben ein paar Monate, andere bis zu drei Jahren. „Viele Frauen suchen auch nur die Beratungsstelle auf, wollen sich duschen oder Wäsche waschen, weil sie sich keine neue Waschmaschine leisten können“, erzählt Raiser. Jährlich nutzen außerdem 80 bis 100 Frauen die Nahestraße 7 als Postanschrift – obwohl sie woanders schlafen.

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722 Quadratmeter stehen dem Wendepunkt, dessen Träger seit 2005 die Evangelische Obdachlosenhilfe „Mission Leben“ ist, für seine Angebote zur Verfügung. Im Erdgeschoss der Nahestraße 7 befinden sich die Pforte, ein Beratungsbüro, vier Notübernachtungsplätze, eine offene Küche und der Tagesaufenthaltsraum. Hier werden auch gemeinsame Mahlzeiten eingenommen. Im ersten Obergeschoss sind die Verwaltung, das Leitungsbüro, und die Kleiderkammer untergebracht. Im zweiten Stock steht für zwei Mütter mit ihren Kindern eine Vier-Zimmer-Wohnung zur Verfügung. Die Sozialarbeiterinnen haben im dritten Stock ihren Besprechungs- und Teamraum. Die Etagen vier bis sechs sind für die Wohngemeinschaften. Als Außenbereich dienen zwei kleine Terrassen zum Innenhof. In der Wallstraße befindet sich zusätzlich eine Außenwohngruppe mit drei Plätzen, wo Frauen wohnen, die sozial und finanziell wieder einigermaßen stabilisiert sind.

Insgesamt gibt es zwölf Heimplätze in der Nahestraße 7. In jedem Stockwerk können die Bewohnerinnen in eigenen Küchen kochen. „Anfangs hatten wir nur zwei Etagen“, blickt Ina Raiser zurück, die erst im Februar die Leitung von ihrer langjährigen Vorgängerin Helga Oepen übernommen hat. Zehn Notübernachtungsplätze in zwei Zimmern und ein Appartement im ersten Stock mit sechs Heimplätzen standen den Frauen zur Verfügung. „Nach und nach haben wir dann das ganze Haus übernommen.“ Besonders dankbar sei das Wendepunkt-Team in dem Zusammenhang dem Hauseigentümer, der der Einrichtung bei der Miete sehr entgegenkomme.

Das Thema Geld belastet den Wendepunkt trotzdem immer wieder. Derzeit wird er von Stadt, Land, Jobcenter und Spenden finanziert. „Ohne unseren Förderkreis würde aber vieles nicht gehen“, betont Raiser. Dank dessen Unterstützung können hin und wieder für die Frauen auch Dinge über das Nötigste hinaus bezahlt werden. Beispielsweise Medikamente, Freizeitangebote rund um Sport oder Kultur oder schlichtweg ein Friseurbesuch.

Nach 28 Jahren ist außerdem vieles „in die Jahre“ gekommen. „Die Zimmer könnten neue Möbel gebrauchen, viele sind zusammengewürfelt“, sagt Raiser. „Auch müssten alle Räume neu gestrichen werden.“

Genau dazu könnten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, mit ihrer Spende für die Aktion „Leser helfen“ beitragen. Auch über eine vergünstigte Unterstützung bei den Renovierungsarbeiten würde sich das Team freuen. Dann bliebe mehr vom Spendengeld für Einrichtungselemente übrig.

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Die Wohlfühlatmosphäre sei für die Frauen wichtig, macht Raiser deutlich. Viele müssten zunächst einmal lernen, im Alltag zurechtzukommen. Allein einen strukturierten Tagesablauf zu entwickeln, könne schon eine Herausforderung darstellen. Genau hier setzen die Sozialarbeiterinnen an. „Jede Bewohnerin bekommt eine eigene Ansprechpartnerin, der sie ihre Situation erzählen kann“, sagt die Wendepunktleiterin. „Sich seelisch nackt zu machen und Vertrauen zu schöpfen, sich zu öffnen, braucht Zeit.“

Der Wendepunkt selbst ist rund um die Uhr besetzt. Auch nachts können Frauen Zuflucht suchen. 2018 wurde das Notübernachtungsangebot von 30 obdachlosen Frauen in Anspruch genommen. 14 Hilfesuchende mussten aus Platzmangel und 34 aus inhaltlichen Gründen abgelehnt werden – etwa wegen schwerer körperlicher (das Gebäude ist nicht barrierefrei) oder seelischer Erkrankungen. „Wir helfen aber jeder Frau, in anderen Häusern im Rhein-Main-Gebiet unterzukommen“, versichert Raiser. Ein breites Netzwerk sei bei der Obdachlosenhilfe unverzichtbar.

Das enge Betreuungssystem der verhältnismäßig kleinen Einrichtung mache die Arbeit aus. Viele würden den Kontakt nach dem Auszug weiterhin aufrechterhalten und die Feierlichkeiten besuchen. „Wir werden für die Frauen schließlich zu einer vorübergehenden Familie“, sagt Raiser.