
Bei einer Diskussion in Mainz fordert der Virologe einen Verhaltenskodex für wissenschaftliche Politikberatung. Und er sagt, was ihn in während der Pandemie überrascht hat.
Mainz. Es gibt häufig Bilder, die mit bestimmten Ereignissen verbunden sind und sofort Erinnerungen wachrufen. Aber manchmal sind es auch Stimmen. Und die Stimme, die an diesem Nachmittag in der Akademie der Wissenschaften erklingt, dürfte für die meisten Menschen untrennbar mit der Coronapandemie verbunden sein. Sie gehört dem Virologen Prof. Christian Drosten, der nach Mainz gekommen ist, um mit einem hochkarätig besetzten Runde über das Vertrauen in die Biotechnologie und in die Wissenschaft im Allgemeinen zu diskutieren – eine Frage, in der Drosten in den vergangenen drei Jahren so viele Erfahrungen gesammelt haben dürfte wie wenige andere Forscher.
Die Medien hätten während der Pandemie ein „personenbezogenes Projektionsbild der Wissenschaft gesendet“, erklärt Drosten in seinem Impulsvortrag. Die Protagonisten seien dabei oft Personen gewesen, die gerne zur Verfügung gestanden hätten – während „viele wirkliche Experten“ sich nicht am Diskurs beteiligt hätten. Diese „bedauerliche Abwesenheit“ habe negative Auswirkungen auf das Vertrauen in die Wissenschaft gehabt. „Jeder gesellschaftlichen Institution käme das öffentliche Vertrauen abhanden, würden ihre Repräsentanten derart unpräzise ausgewählt, noch dazu von einer vollkommen themenfremden Instanz”, so der Professor der Berliner Charité. Expertinnen und Experten müssten vermitteln, wo die Grenzen ihrer Kompetenz liegen und sie müssten sich klarmachen, „dass sie nicht mit einem politischen Mandat sprechen und daher keine politischen Forderungen stellen sollten. Auch die Verwendung von Slogans sollte unterbleiben.“ Zudem müssten sie belegen, was sie sagten, statt nur Behauptungen aufzustellen.
Meinungen sind keine Fakten
Während der Pandemie sei der Eindruck entstanden, dass sich die Erkenntnislage kaum festhalten lasse, dass es fließende Übergänge zwischen Fakt und Meinung gebe. Dabei sei die wissenschaftliche Bewertung „zu keinem Zeitpunkt eine Meinungsfrage“ gewesen, betont Drosten. „Es existierte zu den elementaren Aspekten schon früh ein Konsens in der Wissenschaft. Es war im Sommer 2020 klar, dass eine Impfung erreichbar und eine Winterwelle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten war.“ Ein irreführender Diskurs habe aber „den Keim der Wissenschaftsskepsis gelegt und die Politik verunsichert“. Im Rückblick sei den Institutionen der Wissenschaft klar, dass sie sich „besser früher geäußert hätten, statt der Konstruktion einer medialen false Balance“ zuzusehen.
Die Politikberatung gehöre „ohne Zweifel zu den wichtigsten Dienstleistungen der Wissenschaft“, sagt Drosten, doch könne sie nicht „im Scheinwerferlicht der Talkshows“ stattfinden, da die Zusammenhänge zu komplex und die „Zuspitzungs- und Verkürzungstendenzen zu groß“ seien. Vielmehr müssten Forschende außerhalb der Öffentlichkeit argumentieren, auch um nicht „für Entscheidungen oder Nicht-Entscheidungen in eine unverschuldete Mitverantwortung gezogen zu werden“. Die fähigsten Forscher sollten zwar zur wissenschaftlichen Beratung der Politik aufgefordert werden, doch unterschieden sich die Qualifikationen für Spitzenforschung und Kommunikation. „Sie schließen sich schon allein aus Gründen der Zeitökonomie gegenseitig aus.“ Wer sich längerfristig für eine solche Tätigkeit entscheide, werde „nach einiger Zeit kein Spitzenforscher mehr sein“. Möglicherweise brauche es einen „Code of Conduct“, einen Verhaltenscodex für kommunizierende Wissenschaftler
In der anschließenden Diskussion hebt die Präsidentin des Europäischen Forschungsrates, Prof. Maria Leptin, die Bedeutung der Schulen bei der Frage des Vertrauens in Wissenschaft hervor. Man müsse Kindern schon frühzeitig zeigen, wie Experimente, wie Wissenschaft funktioniere. Ein Grundproblem entstehe dadurch, dass die wissenschaftliche Methode nicht richtig verstanden werde, bei der es immer auch eine Rest-Unsicherheit gebe.
Auch Wissenschaft lebt von Kontroverse
Ein weiteres Problem sei allerdings, dass der Wunsch, die Wissenschaft möge mit einer Stimme sprechen, „riskant“ sei, wie der Bielefelder Philosophie-Professor Martin Carrier betont. Die Kontroverse sei schließlich „das Lebenselixier der Wissenschaft“ und Auseinandersetzungen wichtig, um „Aussagen zu härten“. In der Wissenschaftskommunikation sei es wichtig, den Abstand zur Politik zu wahren, denn das Gefühl von Wissenschaftlern regiert zu werden, habe teilweise zu Widerständen in der Gesellschaft geführt.
Wissenschaftsminister Clemens Hoch (SPD) sieht unter anderem eine Lösung darin, Wissenschaftlern in der Ausbildung das richtige Handwerkszeug zur Kommunikation mitzugeben. Doch ob das immer hilft, scheint fraglich. Er habe zu Beginn der Pandemie erwartet, dass es einige interessierte Menschen geben werde, denen man Antworten geben könne, sowie viele, die sich nicht interessieren würden. „Ich hätte aber gedacht, dass die Nicht-Interessierten weniger laut sind und weniger beeinflusst werden“, so der Virologe. Viele neutrale Personen seien „unter anderem über die sozialen Medien in einen obskuren Meinungsbildungsprozess hineingezogen worden“. Da gebe es dann auf der einen Seite den Experten und auf der anderen Seite YouTube mit „Sven aus Paderborn, der das aber anders sieht“. Daraus müsse man einen Lerneffekt ziehen. Die nächste Gesellschaftskrise auf der Ebene der Wissenschaft vorzubereiten, sei aber schwierig. Denn „wer hätte im Herbst 2021 gedacht, dass nur vier Monate später die Militär-, Politik- und Energiewissenschaftler händeringend gesucht werden“, so Drosten.
Oder auch: Niemand weiß, wie die zentralen Stimmen der nächsten Krise klingen werden.