Beim tanzmainz“-Festival begeisterten die Truppe „Suave“ aus Brasilien und eine Compagnie junger algerischer Tänzer, die wie Derwische wirbelten, die Zuschauer.
MAINZ. „Es ist Montagabend in Mainz und das Theater ist voll,“ begrüßt Honne Dohrmann, Leiter des „tanzmainz“-Festivals, die zahlreichen Fans im Großen Haus. Auch Finanzministerin Doris Ahnen und Kulturdezernentin Marianne Grosse sind gekommen, vor allem aber auch die französische Botschafterin in Deutschland, Anne-Marie Descôtes, die extra aus Berlin angereist ist. Sie kommt zu Ehren des französischen Choreografen Hervé Koubi und seiner reinen Männercompagnie aus zwölf Tänzern, bunt zusammengewürfelt aus Algerien und Burkina Faso.
Nach Mainz hat Hervé Koubi, der in Biologie und Pharmazie promoviert hat, eine Choreografie zu „Die Schuld des Tages an die Nacht“ nach dem Roman von Yasmina Khadra gebracht. Darin verschmelzt Koubi seine eigene bewegte Lebensgeschichte – die des Franzosen, der im Erwachsensein lernen muss, dass er arabische Wurzeln hat – mit dem Porträt der algerischen Gesellschaft vor dem Zweiten Weltkrieg, in der sich Ausgebeutete und Ausbeuter, Einheimische und Kolonialherren mehr als nur miteinander arrangiert haben.
Die zwölf Tänzer, überwiegend Straßentänzer und Hip-Hopper, haben die notwendige Anstrengung für dieses Langzeit-Projekt aufgebracht und an der exakten Umsetzung der Vorlage zur Musik – die von Hamza El Din über das Kronos Quartet bis zu Bachs Oratorium reicht – gearbeitet. Das Tanzstück hat keine Requisiten außer den Tänzern, die mit freiem Oberkörper und in weißen Röcken über weißen Hosen agieren – ungemein athletisch und dennoch mit einer traumhaften tänzerischen Leichtigkeit. Sie folgen dem wechselnden Licht, vereinen die Kraft von Breakdance und Hip-Hop mit modernem Ballett und dem ekstatischen Kreisen von Derwischen. Atemberaubende Salti und rasend schnelle Pirouetten auf dem Kopf wechseln sich ab mit ruhigen Momenten und großen Ensemble-Szenen, die an das feine Gewebe orientalischer Architektur und arabischer Malerei erinnern.
Kaum hat man dieses unglaubliche Stück sacken lassen, begrüßt Honne Dohrmann im Kleinen Haus jene, die sich für das Stück „Cria“ von Alice Ripoll entschieden haben. Es geht nach Rio de Janeiro in die Favelas, wo die Choreografin Ripoll unterrichtet, junge Menschen zum Tanzen verführt und sich politisch engagiert. Das Tanzstück „Cria“ ist eine deutsche Erstaufführung und entführt von der ersten Szene in die Welt der zehn Tänzer, die einzeln über die Bühne tanzen, quasi ein Vorstellungstanz: „Passinho“, mit kleinen Schritten, so die Übersetzung des populären Tanzstils aus den Favelas von Rio. Die Tanzgruppe fand Alice Ripoll auf abendlichen Tanzpartys und formte daraus die Gruppe „Suave“. Selten sieht man so unglaublich unterschiedliche Individuen in so vollendeter Harmonie und mit so viel Witz, Temperament und akrobatischem Tanzvermögen wie in dieser Gruppe. Die Musik, die den Körper durchdringt, löst sich mit absoluter Stille ab, in der die Tänzer auf das Publikum zu tanzen und versuchen, Kontakt aufzunehmen – mal gesprochen, mal unartikuliert, Lautperformances von ihrer besten Seite, die an die Performativität einer Laurie Andersen oder aber an John Cage erinnern. Doch neben diesen höchst amüsanten Einlagen werden auch Geburt und Tod eindrucksvoll performt, auch, wie ein Kind ins Leben findet – und vor all dem steht der Sex. „Cria“ bedeutet im Portugiesischen junges Wesen, aber auch kreativ sein – beides ist hier aufs Beste vereint.