Vorreiter für die Rechte von behinderten Menschen: Das Zentrum für selbstbestimmtes Leben feiert Geburtstag
Pädagogische Unterstützung, Beratung und Kommunalpolitik: Seit 25 Jahren setzt sich das Zentrum für selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Behinderung ein.
Von Carina Schmidt
Lokalredakteurin Mainz
ZsL-Leiter Stephan Heym und Kobra-Koordinatorin Julia Braun.
(Foto: hbz/Henkel)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
MAINZ - Beharrlichkeit und Geduld. Diese Eigenschaften werden auf allen Ebenen gebraucht, wenn man sich für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung stark machen möchte. Seit 25 Jahren ist das die selbsterklärte Aufgabe des Zentrums für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen (ZsL). Nun feiert die Interessensvertretung ihren Geburtstag.
Als Gründungsmitglied Marita Boos-Waidosch Anfang der 1980er Jahre nach einem Jahr USA-Aufenthalt mit ihrer Familie zurück nach Deutschland kam, hatte sie von dort ihre Erfahrungen mit der „Independent Living“-Bewegung mitgebracht. Sie verfolgte eine völlig neue Herangehensweise mit dem Thema „Leben mit Behinderung“, getreu dem Motto: „Nichts ohne uns über uns“. „In Mainz wurde noch immer über Köpfe von behinderten Menschen hinweg gesprochen, anstatt sie selbst anzuhören“, erzählt Boos-Waidosch.
Durch die Kontakte in den USA konnten Referenten nach Mainz eingeladen werden. An der Uni wurden Kurse von Behinderten für Behinderte angeboten. Der dahinter verfolgte Ansatz nennt sich Peer Counseling – Beratung durch Menschen mit denselben Merkmalen. In diesem Kontext entstand die Idee, das ZsL zu gründen. „Wir waren damals Vorreiter“, sagt Boos-Waidosch. „In Rheinland-Pfalz gab es so etwas noch nicht.“
ZsL-Leiter Stephan Heym und Kobra-Koordinatorin Julia Braun. Foto: hbz/Henkel
Ein Wendo-Kurs des Projekts Kobra, das sein 20-jähriges Bestehen feiert. Archivfoto: hbz/Wallerius
Mitarbeiter des ZsL im Eingangsbereich in der Rheinallee 79-81. Archivfoto: hbz/Henkel
3
Mittlerweile beschäftigt das ZsL 36 Mitarbeiter an den Standorten Mainz, Nieder-Olm und Bitburg. Alle Vorstandsmitglieder und 60 Prozent der Mitarbeiter haben eine Behinderung. Finanziert wird der Verein durch Fördermittel, etwa von der Stadt, dem Landkreis Mainz-Bingen, dem Land Rheinland-Pfalz und dem Bund. Auch Stiftungen, Privatspender und die Aktion Mensch unterstützen das Zentrum.
Doch der Weg dahin war mühselig. Mit privaten Treffen in Wohnzimmern fing alles an, erzählt Gründungsmitglied Matthias Rösch. „Unser erstes Büro hatten wir dann in der Straße ‚Am Zollhafen‘, damals noch ohne feste Mitarbeiter.“ Danach gab es erstmals von der Stadt Geld. „Das war dann der Schlüssel dafür, dass wir an die Mittel für Landesprojekte gelangen konnten“, berichtet Boos-Waidosch. Der Verein konnte drei hauptamtliche Stellen schaffen und zog 1996 ins Fort Malakoff. 2012 folgte der Umzug in die Rheinallee 79-81, wo sich bis heute der Hauptsitz befindet.
DOPPELTE FEIER
Am Donnerstag, 24. Januar, feiert das Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen ab 16 Uhr im Haus der Jugend (Mitternachtsgasse 8) gleich doppelt: 25 Jahre ZsL und 20 Jahre Kobra. Kurzentschlossene sind willkommen, um Anmeldung per Mail an j.braun@zsl-mainz.de wird dennoch gebeten.
Mit von Vorteil sei in den Anfängen gewesen, dass Boos-Waidosch zur städtischen Behindertenbeauftragten ernannt wurde, berichtet sie. Das Amt gab sie erst vergangenen Herbst im Alter von 65 Jahren ab. Auch Rösch, der bereits das autonome Behindertenreferat an der Uni mitgegründet hatte und inzwischen als Landesbehindertenbeauftragter arbeitet, konnte maßgeblich zum Etablieren der Anlaufstelle beitragen.
Die Arbeit des ZsL lässt sich in mehrere Bereiche einteilen, wie Leiter Stephan Heym erklärt: „Der erste ist die Interessensvertretung auf kommunal- und landespolitischer Ebene.“ Dazu zähle etwa die Arbeit in Gremien und das Verfassen von Stellungnahmen zu Gesetzesvorlagen. Der zweite Strang sei die Beratung, die sich an Menschen mit Behinderung (Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung), deren Angehörige und Institutionen richtet. Der dritte Bereich umfasst die qualifizierten Dienstleistungen wie Gebärdensprachenkurse und die pädagogische Unterstützung von behinderten Menschen, die in eine eigene Wohnung ziehen. Und dann wäre da noch die Arbeitsmarktintegration, die von Inklusionsberatern unterstützt wird. Ein langjähriges Schwerpunktprojekt des ZsL ist die Koordinations- und Beratungsstelle für Frauen mit Behinderung in Rheinland-Pfalz (Kobra). „Behinderte Frauen werden noch schlechter gehört als Männer“, sagt Koordinatorin Julia Braun. Auch Boos-Weidosch kennt die doppelte Diskriminierung: „Wir werden oft gar nicht als Frauen und Mütter wahrgenommen.“ Kobra bietet Beratung, Schulungen und Angebote gegen sexuelle Gewalt und Diskriminierung jeder Art an.
Für Heym gibt es auch nach 25 Jahren noch viel zu tun. Etwa die gesetzliche Verankerung von Barrierefreiheit. Besonders im privaten Bereich wie dem Einzelhandel und der Gastronomie gebe es große Defizite. „Wir brauchen außerdem überall kommunale Ansprechpartner“, betont der ZsL-Leiter. „Denn noch immer ist vieles ein Kraftakt.“