Umgekehrte Machtverhältnisse: Beim „Tell Tales“-Festival in Mainz haben Kinder bei einem Video-Projekt mit Erwachsenen das Sagen
Von Meike Hickmann
Daniel, sieben Jahre alt, hat heute als Performancekünstler das Sagen. Foto: hbz/Stefan Sämmer
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MAINZ - Vier Erwachsene hüpfen mit verkehrt herum angezogenen Schuhen auf einem Bein und tanzen dabei. Ist das Kunst? Warum nicht – eine Performance von Daniel, sieben Jahre alt. Er hat auf einem Stuhl mit Mikrofon teilgenommen und gibt Anweisungen an vier Erwachsene. Eine Kamera steht neben ihm und nimmt sein Gedankengut auf. „Doing Choreographers“ heißt der Workshop von Laura Fröhlich bei dem Festival „Tell Tales“, organisiert von Studierenden der Kunsthochschule. Sie richten ein bis zum Samstag, 15. Juli andauerndes zehntägiges Programm auf dem Tritonplatz, in der Kulturrepublik, der Kulturei und im Alten Rohrlager aus. „Epochen und Episoden“ lautet das Thema des diesjährigen Kultursommers Rheinland-Pfalz, zu dem auch „Tell Tales“ gehört. „Wir wollen Gegengeschichten aus ungewöhnlichen Perspektiven erzählen“, sagt Mitorganisatorin Aneta Kajzer.
„U, sag zu X: Halt die Fresse!“, ordnet Mohammed, neun Jahre alt an. „Wie geht’s, wie geht’s, wie geht’s…“, sagt die Performerin mit dem Zettel „U“. So ist es abgemacht – wenn die Erwachsenen etwas nicht tun möchten, sollen sie laut Mohammed zwei Minuten lang „Wie geht’s“ sagen. Beide Kinder testen ein paar Mal die Grenzen aus – aber viel seltener und harmloser als man es vielleicht erwarten würde. „Interessant finde ich, dass sie ständig wollen, dass wir rennen, schreien, schlagen – all dass, was sie von Erwachsenen immer verboten bekommen“, sagt Mittänzerin Eva Hess hinterher.
Laura Fröhlich entwickelte das Projekt, als sie ein sehr dominantes Mädchen betreut hat. „Ich habe mit ihr gespielt, dass ich fünf Minuten nur mache, was sie will, bevor sie wieder auf mich hören muss“, erzählt sie. Das Mädchen war begeistert und wollte das mit dem Handy filmen. „Dieses Umkehren der Machtverhältnisse fand ich sehr spannend“, sagt sie. Künstlerisch spannend – die Geistesblitze der Kinder („Tanzt beim Schlafen!“), aber vor allem die Ausflüge in die Welt der Schulhofbeleidigung – „Du bist sehr, sehr, sehr hässlich“ – bekommen in dem Kontext etwas charmant Absurdes. Ganz ähnlich ein von Mohammed inszenierter Dialog, ob der Ehemann von „U“ Penner oder Polizist ist – mit großer Ernsthaftigkeit aufgeführt vor einer weißen Wand.
Künstlerin Laura Fröhlich erzählt, sie mache mit „Doing Choreographers“ jedes Mal neue Erfahrungen: „Manche Kinder kommen mit genauen Vorstellungen, andere sind spontan kreativ.“ Bei „Tell Tales“ bietet sie den Workshop vier Mal an. Die Videos werden ab Donnerstag, 12. Juli, in der Kulturrepublik in der Gaustraße gezeigt.