Stadtschreiber Abbas Khider über Mainz, zwei neue Bücher und Integrationspolitik

Zigarettenpause vor dem Römischen Kaiser: In seiner Stadtschreiberwohnung im linken Obergeschoss hat Abbas Khider an zwei neuen Büchern gearbeitet. Foto: Sascha Kopp Foto: Sascha Kopp
MAINZ - Selbst während er sein Rührei im Café Hintz & Kuntz verspeist, haut Abbas Khider in die Tasten seines Laptops. Die fünf Tage, die der Stadtschreiber vor dem Fastnachtswochenende noch einmal in seiner Dichterstube im Römischen Kaiser verbringt, sind die letzten in Mainz, ehe Anna Katharina Hahn im März die Nachfolge des 45-Jährigen, in Bagdad geborenen Schriftstellers antritt.
Herr Khider, in einem Monat endet Ihr Stadtschreiberamt. Wie haben Sie Mainz und die Mainzer erlebt?
Es gibt schon Unterschiede zu dem ruppigeren Menschenschlag in Berlin, wo ich lebe, und den Leuten hier in Rheinhessen. Man ist ausgeglichener, toleranter, trinkt gerne Wein. Im Osten des Landes spielt die Hautfarbe eine viel größere Rolle. Ich habe in Mainz viele Freundschaften geschlossen. Aber auch komische Dinge erlebt. In den ersten drei Monaten nachdem ich meine Stadtschreiberwohnung bezogen hatte, wollte immer jemand von den Mitarbeitern des Gutenberg-Museums wissen, wer ich denn überhaupt sei. Ich habe freundlich geantwortet, und nach etwa vier Monaten war ich allseits bekannt. Es war lustig, als letzten Sonntag dann wieder ein junger Museumsmensch wissen wollte, was ich im Römischen Kaiser zu suchen habe. Er lief mir nach, machte Fotos mit dem Handy und rief sogar die Polizei an. Wenn ich jetzt blond und weißhäutig wäre, hätte er die Frage wahrscheinlich nie gestellt. Diese unbewussten Ressentiments sind tief in uns verankert. Im Vergleich mit anderen deutschen Städten habe ich hier aber viele herzliche, entspannte Menschen kennengelernt und eine unheimlich schöne Zeit genossen.
Waren Sie oft in ihrer Stadtschreiberstube?
Meistens ein bis zwei Wochen im Monat. Oft haben die Leute davon gar nichts mitbekommen. Ich habe die Ruhe genutzt, um intensiv zu arbeiten. In der Stadtschreiberwohnung habe ich es geschafft, innerhalb eines Jahres zwei Bücher zu schreiben.
NACHFOLGERIN
Am 12. März, 19.30 Uhr, hält Anna Katharina Hahn im Frankfurter Hof ihre Antrittslesung als neue Mainzer Stadtschreiberin.
Am 13. März, 15.30 Uhr, wird die Schriftstellerin im Ratssaal des Rathauses in ihr Amt eingeführt.
Am 13. März, 15.30 Uhr, wird die Schriftstellerin im Ratssaal des Rathauses in ihr Amt eingeführt.
Können Sie schon mehr darüber verraten?
Wenig. Die Verhandlungen mit dem Verlag sind noch nicht abgeschlossen. Bei einem der Projekte, einem Sachbuch, geht es um die Erfahrungen eines Ausländers mit der deutschen Sprache – ihren Schönheiten, aber auch ihren schrecklich komischen Seiten. Ich habe noch nie so viel gelacht, wie beim Verfassen dieses Buches. Es ist auch viel Rheinländisches und Pfälzisches drin. Ich mag die Pfälzer sehr. Das andere ist ein Roman.
In Ihrem letzten Buch „Die Ohrfeige“ beschreiben Sie mit viel Humor die deutsche Asylbürokratie. Was ist das Thema des neuen Romans?
Es handelt ebenfalls von Menschen am Rande der Gesellschaft und ihrem Blick auf das Leben und die Weltereignisse. Stilistisch bleibe ich meiner Methode treu, ernsthafte Themen mit Humor zu würzen.
Sie saßen aus politischen Gründen im Irak im Gefängnis, kamen nach ihrer Flucht 2000 nach Deutschland, lernten die Sprache, studierten Literatur und Philosophie. Wollten Sie immer schon Schriftsteller werden?
Diesen Traum hatte ich schon mit 14 Jahren. In den 1990er Jahren hatte ich schon zwei Gedichtbände und ein Sachbuch über Literatur und Diktatur in der arabischen Welt auf Arabisch geschrieben – nur mit der Hand. Das kann ich mir heute ohne Laptop gar nicht mehr vorstellen.
In Ihren Büchern schaffen Sie Distanz mit Humor. Ist das eine Art Selbstschutz, um auch eigene schlimme Erlebnisse erzählbar zu machen?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten mit der Welt umzugehen. Entweder man sieht in ihr eine Hölle, mit sozialer Ungerechtigkeit, Kriegen, Armut, Hunger, dem Erstarken rechter Parteien. Wenn wir die Dinge so ernst nehmen, wie sie sind, machen wir unser Leben selbst zur Hölle. Man muss lernen, damit umzugehen, Veränderungen zu schaffen. Dinge, die im Kern lächerlich sind, auch so darzustellen, dass die Menschen die Absurdität bemerken.
Wie beurteilen Sie die nun abgeschlossenen Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD mit der Diskussion um Flüchtlingsobergrenzen?
Jetzt will man wieder das Gleiche vier Jahre lang wiederholen, das die Menschen eigentlich satthatten. Warum macht man keine Minderheitsregierung oder Neuwahlen? Die Rechtspopulisten sind deshalb so stark geworden, weil die etablierten Parteien ihre Glaubwürdigkeit verloren haben. Die Parteien müssen eine neue Sprache finden, um die Menschen zu überzeugen. Das gilt besonders bei der Flüchtlingsthematik. Wir müssen lernen, die Sprache und die Kultur der anderen zu verstehen. In Deutschland existieren zwei verschiedene Welten, die nicht zueinanderfinden.
Sie sind seit 2007 deutscher Staatsbürger. Würden Sie sich als gelungenes Beispiel für Integration bezeichnen?
Sagen wir so: Der Normalfall sollte sein, dass jeder in diesem Land den anderen so akzeptiert wie er ist, unabhängig von Hautfarbe oder Herkunftsland. Integration, wie sie die Politiker verstehen, bedeutet, dass man tun muss, was die anderen von einem verlangen. Das hat etwas Zwanghaftes. Für mich ist Integration, wenn sich alle an die Gesetze eines Landes halten – egal, aus welcher Kultur sie stammen. Wenn man von Integration spricht, muss man auf die Nöte und Bedürfnisse der Menschen, die zu uns kommen, eingehen. Es gibt zwei ganz einfache Fragen: Was wollen wir von ihnen? Was wollen sie von uns? Aber jedes politische Ereignis wird sofort für diese Debatte instrumentalisiert. Nach einem Bombenanschlag sind plötzlich alle Schwarzhaarigen, fremdländisch Aussehenden verdächtig.
Gibt es schon Überlegungen für Ihren Stadtschreiber-Film?
Ich habe mehrere Ideen, aber wegen des neuen Buches ist das verschoben worden. Ich brauche noch ein wenig Zeit, hoffe aber, noch dieses Jahr den Film abzuliefern.
Was hat Mainz, was Berlin nicht hat?
Mainz ist im Winter lange nicht so grau wie Berlin. Die Menschen sind viel offener, lockerer, gemütlicher, nicht so hektisch wie die Berliner. Wenn ich in Mainz bin, fühle ich mich immer wie in einem Kurort.
Das Interview führte Michael Jacobs.