Der Krieg prägt Markus Reintgens Fotografien – nun hat die Europäische Kommission sein Projekt „Scherben von Prora“ ausgezeichnet.
Von Eric Scherer
Markus Reintgen möchte mit seinen Fotografien den Betrachter aufrütteln.
(Foto: hbz/Harry Braun)
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MAINZ - Manche Menschen suchen sich das Thema, das ihr Lebenswerk bestimmt, gar nicht selbst aus. Es findet sie, und das bisweilen schon sehr früh. Bei Markus Georg Reintgen ist es der Krieg. Sein Großvater kämpfte an den Fronten des Ersten Weltkriegs, zwei Onkels trugen zwischen 1939 und 1945 Wehrmachtsuniformen, sein Vater war Berufssoldat. „Der Krieg war immer Thema bei uns, das hat mich von kleinauf geprägt“, erzählt der 55-Jährige heute.
Die Erinnerung an seine Schrecken lebendig halten, hat sich der Junge aus Nastätten im Taunus dann zur Lebensaufgabe gemacht. Dazu wählte er einen ungewöhnlichen Weg. Als Fotograf zeigt er, wo Krieg und Schreckensherrschaft in unserer Gegenwart sichtbar geblieben sind. In gleichsam dokumentarisch wie künstlerisch anmutenden Schwarzweißfotografien setzt er deren einstige Schauplätze ins Bild, die er bewusst mit einer Kamera aufnimmt, die so alt wie er selbst: einer „Adox“, mit der selbst einst als Kind abgelichtet wurde.
Und von dieser Bestimmung ließ er sich auch nicht abbringen, als ihn im Alter von 18 Jahren ein Motorradunfall für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl fesselte. Er studierte Freie Bildende Kunst an der Kunsthochschule in Mainz, wo er auch sesshaft wurde, seither wirkt er immer wieder an Projekten von Stadt und Land mit, die ihn auch fördern.
Dass sich mit diesen zum Teil vom Schicksal, zum Teil selbst gewählten Einschränkungen Werke von hoher künstlerischer Qualität schaffen lassen, mag im hochtechnisierten 21. Jahrhundert schwer zu glauben sein, ist jedoch anerkannter Fakt. Nun ist Markus Georg Reintgen von der Europäischen Kommission geehrt worden, mit dem „Altiero Spinelli Prize“. Damit werden künstlerische und journalistische Arbeiten bedacht, die sich um die Vermittlung europäischer Werte, Politik und Geschichte verdient gemacht haben. Markus Georg Reintgen erhielt die Auszeichnung für sein Fotografieprojekt „Scherben von Prora“.
„Prora“ ist ein Ortsteil der Gemeinde Binz auf der Insel Rügen. Ab 1936 wollten die Nationalsozialisten dort ein prachtvolles „Kraft durch Freude (KdF)-Seebad“ errichten, doch der heraufziehende Weltkrieg verhinderte die Fertigstellung. Drei der insgesamt acht Gebäudeblöcke wurden zerstört, der Rest diente ab 1950 der Nationalen Volksarmee als Kaserne und galt in der ehemaligen DDR als die monumentalste ihrer Art. Nach dem Mauerfall gab die Deutsche Bundeswehr ein kurzes Gastspiel in Prora, danach dümpelte die gigantische Anlage eine Weile vor sich hin. Seit 2004 werden einzelne Segmente zu Hotel- und Ferienanlagen umgestaltet, seit 2013 wird dieser Umbau intensiviert.
Markus Georg Reintgen versteht sein Projekt als „stummen Protest“ gegen diese schleichende Umwidmung eines gewaltigen Denk- und Mahnmals in einen durchkommerzialisierten Hotelbetrieb. „Dieser graue Koloss erzählt uns so viel über die NS-, aber auch die DDR-Geschichte, daher sollte er erhalten bleiben“, klagt der Künstler. „Schon als ich Prora das erste Mal besuchte, sah ich den Größenwahn, der die Welt verbrannte und Deutschland teilte.“
Diese Empfindung versucht er, auch in seinen Schwarzweißbildern zu vermitteln, die er stets als Fotopaare gestaltet. Dabei sind alle gestalterischen Entscheidungen schon vor dem Drücken des Auslösers getroffen worden, in Kopfarbeit, daher spricht Reintgen auch von einer „Denkkamera“. Bildnachbearbeitung oder sonstige elektronische Hilfsmittel lehnt er ab. „Ich will die Fotografie auf ihre Ursprünge zurückführen.“
Für seinen stummen Protest fand er Mitstreiter in der Initiative „Denk-MAL-Prora“. Und deren Engagement gegen das Auslöschen dieser steingewordenen Erinnerungen an deutsche Diktaturen ist nicht unerhört geblieben. Im ehemaligen „Block 5“ entsteht nun ein Bildungszentrum, das auch einen Eindruck von der ursprünglichen Monumentalarchitektur der gesamten Anlage bewahrt. So ganz machtlos gegenüber dem Kommerz ist die Kunst also doch nicht.
„Preise und Stipendien sind zwar eine schöne Bestätigung, ohne sie wäre meine Arbeit jedoch nicht weniger wichtig“, erklärt der Künstler. „Denn mein eigentlicher Auftraggeber ist die Geschichte.“