Montag,
29.05.2017 - 01:00
2 min
Sein Blick auf die Welt ist düster
Von Gerd Blase
EXPERTENTIPP
Zur Pause rät Sieber: „Trinken Sie Alkohol, Sie werden ihn brauchen.“ Recht hat er.
MAINZ - Kurz hält er inne, holt Luft und schaut lächelnd hinunter zum Publikum im ausverkauften Unterhaus-Gewölbe. „Oh, 20 Minuten rum, Stimmung schon im Arsch“, feixt Christoph Sieber.
Eben noch hat der Kabarettist erzählt, wie sich die Erderwärmung auf zwei Grad beschränken ließe. „Wir müssen drei Punkte beachten. Möchten Sie sie hören?“ Verhaltene Zustimmung. „Weniger fliegen, weniger Auto fahren und weniger Fleisch essen. Da werden jetzt viele sagen: Das ist aber sehr konkret.“ Dieser Meinung waren auch diverse Staatschefs. „Sie beschlossen lieber, dass alle Länder gleich viel CO2 ausstoßen dürfen.“ Und wer doch mehr produziert, kann das über den Emmissionsrechtehandel wieder gut machen. „Viele Fachleute meinen nun: Das könnte zu mehr CO2-Ausstoß führen.“
Verzicht auf Kalauer und Pointen
Der Titel seines aktuellen Solos „Hoffnungslos optimistisch!“ täuscht, Siebers Blick auf die Welt ist düster. „Viele sagen: Herr Sieber, Sie machen ja alles kaputt.“ Tatsächlich zeigt der 47-Jährige, was alles kaputt ist – und dabei macht er nicht mal die Stimmung zunichte. Das ist erstaunlich, denn über weite Strecken spart er sich Kalauer und Pointen. Sieber zählt lieber Schlimmes auf.
„Drei Millionen Griechen – das ist ein Viertel der Bevölkerung – kann sich keine Krankenversicherung mehr leisten. Da überlegen sich Diabetiker, ob sie Lebensmittel kaufen oder Insulin. Für beides reicht es nicht.“ Längst gebe es in Europa unterernährte Kinder, die staunend auf reich bestückte Gewächshäuser in der Nachbarschaft starren. „Aber das Gemüse ist für den Export bestimmt.“ Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt zusammen so viel wie der ganze Rest der Welt. „Und ihnen ist eine Lügenkampagne gelungen. Sie erklären uns: Das, was für dieses eine Prozent gut ist, ist gut für uns alle.“
1996 hat Sieber seine Karriere im Unterhaus begonnen – und sie beinahe beendet: Bei einem Nachwuchswettbewerb gewann er und durfte danach einen ganzen Abend lang spielen. Das lief so übel, dass er sich über Jahrzehnte nicht mehr auf die Mainzer Kleinkunstbühne traute. Als er nach Jahren dann doch zurückkehrte, war aus ihm ein Großer unter den Kabarettisten geworden. 2015 bekam er den Deutschen Kleinkunstpreis des Unterhauses.
Mit seinem aktuellen Solo beweist er auf ein Neues, wie sehr er diese Auszeichnung verdient. Dabei ist Sieber durchaus nicht jedermanns Sache: Er neigt in einem Maße zum Predigen, wie es sonst nur Volker Pispers gelingt. Beide kommen hoch moralisch daher, ohne moralinsauer zu werden. Ihr Witz ist dünn gestreut und bitter, dennoch begeistern sie ihr Publikum.