Reich verzierter riesiger Eckquader aus römischer Stadtmauer: Spektakulärer Baustellenfund am Mainzer Landtag
Von Bernd Funke
Der Steinquader besticht durch eine enorme bildhauerische Qualität. Foto: Harald Kaster
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MAINZ - „Das ist ein großes Fenster im Adventskalender der Archäologen“, freut sich Dr. Marion Witteyer, Leiterin der Mainzer Archäologen und schwärmt vom zur Schau gestellten tonnenschweren Eckquader: „Eine enorme bildhauerische Qualität, wie wir sie sonst in Mainz nicht haben.“ Aus dem 1. oder 2. nachchristlichen Jahrhundert stammt die in die römische Stadtmauer verbaute Spolie. Ursprünglich, so mutmaßt die Chef-Archäologin, war der Stein wohl Teil eines größeren Bauwerks, das nahe der jetzigen Fundstelle am Rande der Bodenplatte für den Anbau des Landtags gestanden haben muss. Es könnte vom in der Altenauergasse angenommenen Stadthalterpalast stammen, von einem Tempel oder einem monumentalen Grabbau, die Mitte des 3. Jahrhunderts abgerissen wurden, um aus den Quadern die Stadtmauer aufzurichten. „Die Römer haben solch schweren Steine nie weiter als ein paar hundert Meter transportiert“, stützt Witteyer ihre Vermutung.
Der Eckquader zeigt auf der einen Seite in besonderer Qualität Voluten (Ornamente in Schneckenform), ein lesbisches Kyma (mit herzähnlichen Blättern versehene Zierleiste), einen Krater (ursprünglich ein Gefäß zum Mischen von Wein und Wasser) sowie das Schwanzstück einer Schlange. Die andere Seite ist mit einer reichen Ornamentik von Akanthus-Blättern verziert. „Gerade das lesbische Kyma, das oft in römischen Villen in Italien anzutreffen ist, ist für Mainz völlig ungewöhnlich“, weiß Marion Witteyer.
Dass auf der Baustelle des Landtags noch weitaus mehr Relikte aus römischer Zeit im Erdreich schlummern, ist den Archäologen bewusst. So haben sie beispielsweise die Spitze eines Altars ausmachen können – doch auch dessen Bergung bleibt nächsten Archäologengenerationen vorbehalten. „Wir graben nicht, um zu finden, sondern, um die Zeugnisse der Stadtgeschichte zu retten. Und im Fall des Altars, der ebenfalls in der Stadtmauer verbaut wurde, ist er in situ, also am Ort, gut aufgehoben“, erklärt Witteyer.
Und sie zeigt eine kleine Auswahl dessen, was aus der Baugrube geborgen wurde: Eine Filetnadel, wie sie seit der Römerzeit etwa zum Flicken von Netzen verwendet wird, einen mittelalterlichen hölzernen Kamm, ein Würfel und eine Flöte aus dem Mittelalter, Pingsdorfer Keramik aus dem 10./11. Jahrhundert, ein Messer aus dem 16./17. Jahrhundert und schließlich eine bunte fränkische Perle etwa aus dem Jahre 600 unserer Zeitrechnung. „Alles Zeichen einer intensiven Nutzung dieses Geländes und auch Beweis für die Besiedlung in fränkischer Zeit“, erläutert die Archäologin. Sie wird mit ihrem Team noch bis Ende März kommenden Jahres weiterforschen dürfen, will weitere Teile der Stadtmauer finden, das einst zwischen Martinsburg und Deutschhaus angesiedelte Kanzleigebäude, weitere Teile der Kirche St. Gangolf und, wenn möglich, die kleine Pforte, die aus der Stadt hinaus zum Rhein führte. Aber zunächst einmal kommt der schwere Neufund mit Fundnummer versehen ins Depot der Archäologen.
Landtagspräsident Hendrik Hering ist verwundert: „Es ist schon spektakulär, was sich hier auf wenigen Quadratmetern finden lässt.“ Und er freut sich, dass die Arbeiten am inzwischen völlig entkernten Landtag voll im Zeitplan liegen. „Wir werden 2020 in den neuen Landtag einziehen können“, ist sich Hering sicher. Thomas Metz, der Generaldirektor der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) erinnert daran, dass Landtag und Landesbetrieb Liegenschafts- und Baubetreung (LBB) bereits in den Terminplan die Arbeit der Archäologen einkalkuliert hätten: „Wenn man so vorgeht, kommt es auch zu keinen von den Archäologen verschuldeten Bauverzögerungen.“ Wichtig sei, darüber sind sich Metz und Witteyer einig, dass mit der aktuellen Grabung weitere Erkenntnisse auch über die große Bedeutung, die Mainz im Mittelalter gehabt habe, gewonnen werden können.