Parallelwelt voller Musik und grenzenloser Harmonie: Gerassimez-Brüder liefern sich spannenden Schlagabtausch im Schloss Waldthausen in Mainz

Nicolai (am Klavier) und sein jüngerer Bruder Alexej Gerassimez liefern sich einen multiinstrumentalen Schlagabtausch. Foto: Plachetka Foto: Plachetka
MAINZ - Von Anfang an ist bei den Musikern deutlich zu spüren: Da ist mehr als die pure Musik, die die beiden verbindet. Es ist die innige Harmonie, ein intuitives Miteinander, das blinde Verständnis einem Schweizer Uhrwerk gleich, wenn man die Augen schließt und in ihre Musik hineinhört. Bei visuellem Wahrnehmen wird auch der optische Eindruck bei den Brüdern Nicolai und Alexej Gerassimez noch in eine exakte Parallelwelt geschoben. Sie nennen es Balance, das direkte Zusammenspiel von Nähe und Distanz, dieses Ausloten von Grenzen, aber auch wieder das musikalische Hineinsteigern in die Grenzenlosigkeit.
Gleich zu Beginn im Marimba Concerto von Paul Creston – er zählte in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zu den beliebtesten US-Komponisten – wird diese lebhafte Leichtigkeit ihres musikalischen Wirkens deutlich, die sie im Prolog ihrer Soirée auf der Bühne von Schloss Waldhausen präsentieren.
Sofort ist das Eiltempo aufgenommen, die Zuhörer sind in den Bann gezogen. Mit Schlägeln bearbeitet der jüngere Alexej das Aufschlagidiofon und erzeugt so schwingend die klaren Töne, während Bruder Nicolai am Klavier einmal dramatisch betonend, dann wieder begleitend, das Musikthema aufnimmt. Die Komposition von Creston erinnert stark an eine Filmuntermalung aus einer Schwarz-Weiß-TV-Epoche: als die Bilder laufen lernten. Ebenso ein Boogie-Woogie aus den 20er-Jahren im Siebenachtel-Takt.
Ihre musikalische Bandbreite ist schier unerschöpflich: metallische, gewitterartige Resonanzblitze aus Südamerika von Roberto Sierra „Los destellos de la resonancia“ für zwölf Becken – sechs davon auf dem Boden liegend, in vollendeter Bearbeitung durch den Musiker. In „Famim 2“ von Emmanuel Séjourné ist Alexej Gerassimez hin- und hergerissen im ständig fliegenden Wechsel seiner dieses Mal jazz-artig klingenden Instrumente Vibrafon, Marimbafon und Perkussion. Wie Aktionskünstler nehmen sie die gesamte Bühne in Beschlag und auch Alexejs Bruder Nicolai hat längst die Klaviertasten verlassen, greift ins Innere, zupft die Saiten und setzt schließlich Klangschalen in den Klavierkörper ein, um auf diese Weise im Wechsel wohlklingende und dann wieder disharmonische Klänge zu produzieren.
Sanfte Flügelschläge beim „Hummelflug“
Sein ganzes Können lässt Nicolai in den drei argentinischen Tänzen von Alberto Ginastera aufblitzen: in seinem Klavierspiel spürt man regelrecht die viehtreibenden Gauchos in der Prärie, vernimmt den dramatischen, wilden Hufschlag der Tiere, an den sich der liebreizend-melancholische Tanz der Landmädchen anschließt. Dann hat Alexej an der kleinen Trommel seinen selbst komponierten Soloauftritt. Schier unglaublich, was er minutenlang mit einer nahezu nicht mehr wahrzunehmenden Geschwindigkeit „grenzenlos“ aus diesem Klangkörper herauskitzelt.
Am Ende werden die bereits international hochdekorierten und renommierten Künstler, Nicolai und Alexej Gerassimez, frenetisch vom Publikum gefeiert. Mit ihrer Zugabe schicken sie ihre Zuhörer mit sanften Flügelschlägen auf den Heimweg: Auch ihr „Hummelflug“ ist perfekt in Szene gesetzt.