Selbstbewusster durchs Leben, brenzlige Situationen meistern, auch mit Schlagkraft: Das Zentrum für selbstbestimmtes Leben in Mainz bietet für Frauen und Mädchen Wendo-Kurse an.
Von Carina Schmidt
Lokalredakteurin Mainz
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MAINZ - Bei Dunkelheit fühlt sich Iris unwohl. Beispielsweise, wenn sie abends alleine unterwegs ist. Neulich musste die 36-Jährige auf dem Heimweg nach Gonsenheim im Bus eine Schlägerei miterleben. Der Fahrer hielt sofort an und klappte die Rampe auf, damit Iris mit ihrem Rollstuhl den Bus verlassen konnte. Danach rief er die Polizei.
Iris ist glücklicherweise nichts passiert. Aber nach diesem Erlebnis hat sie beschlossen, an einem Selbstverteidigungskurs teilzunehmen. Beim Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen (ZsL) in der Rheinallee 79-81 stieß sie auf das passende Angebot. In fünf Einheiten wird Frauen und Mädchen mit Behinderungen bei einem Wendo-Workshop gezeigt, wie sie sich in bedrohlichen und lebensgefährlichen Situationen verhalten können.
„Sie müssen öfters Gewalterfahrungen machen als Frauen ohne Behinderung“, sagt Julia Braun vom ZsL. Die Projektleiterin der Koordinations- und Beratungsstelle für Frauen und Mädchen mit Behinderung in Rheinland-Pfalz (KOBRA) weiß: Nahezu jede zweite körperlich oder geistig eingeschränkte Frau werde Opfer von sexualisierter Gewalt – in der Regel schon in der Kindheit oder Jugend.
Anke Thomasky zeigt, wie man die Finger bei einem Verteidigungsschlag mit der Faust in Sicherheit bringt.
(Foto: hbz/Wallerius)
Workshop-Leiterin Anke Thomasky will den Teilnehmerinnen innere Stärke ermöglichen. „Jede soll ihren eigenen Weg finden, sicher durchs Leben zu gehen“, sagt sie. Eine selbstbewusste Ausstrahlung und die Körpersprache könnten schon dazu beitragen, eher in Ruhe gelassen zu werden. Die Sozialpädagogin bringt den zehn Frauen körperliche Techniken bei, ermutigt sie aber vor allen Dingen durch mentale Übungen, die Opferrolle abzulegen. Beispielsweise wenn es um Beleidigungen, schmutzige Witze am Arbeitsplatz und im Alltag geht. Auf Sprüche wie „Na Süße? Wie wär’s mit uns?“ hat sie die Antwort parat „Ich bin nicht süß, aber ich werde gleich sauer!“. Oder wenn jemand sagt „Halt’s Maul!“, dann könne die Frau kontern: „Ich rede, wann ich will!“
Wörtlich übersetzt heiße Wendo „Weg der Frauen“. In Rollenspielen geht Thomasky verschiedene brenzlige Situationen durch. Dabei nimmt sie auf die individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten der Teilnehmerinnen Rücksicht. So kann etwa auch ein Rollstuhl als Waffe eingesetzt werden. Marita demonstriert, wie das geht: Mit Vollgas fährt sie mit ihrem elektrischen Gefährt gegen ein Boxkissen. Es rummst. Man möchte nicht in der Haut des Kissens stecken.
Auch nicht, als Lea-Marie mit ihrer Faust draufschlägt. Anke Thomasky hat der 18-Jährigen vorher gezeigt, wie sie das richtig macht: „Finger einklappen, den Daumen außen auf die mittleren Fingerteile drauflegen und die Faust so verriegeln.“
Genau mit dieser Faust sollen die Frauen anschließend ein 1,5 Zentimeter dickes Massivholzbrett durchschlagen. Petra ist die Erste, die es mit dem Brett auf sich nimmt. „Nur der Handkantenmuskel soll aufsetzen“, erklärt Thomasky, baut zwei Bretter senkrecht auf und legt darauf ein weiteres. „Wenn du durchziehst, tut es nicht weh“, versichert sie. Petra atmet tief durch, spannt die Faust und zack – gleich beim ersten Versuch schlägt sie das Brett mitten durch. Fabienne zieht es vor, das Brett mit einem Fußtritt zu zerteilen.
Das ZsL will die Kurse künftig regelmäßig anbieten. Der aktuelle Kurs wird von der Sparda-Stiftung für Kunst, Kultur und Soziales gefördert, sodass die Teilnahmegebühr für die Frauen und Mädchen niedrig gehalten werden konnte. Kobra-Projektleiterin Julia Braun hofft auf Fördermittel vom Land Rheinland-Pfalz, um die Wendo-Kurse regelmäßig anbieten zu können. „Interessentinnen gibt es bereits“, erzählt sie.
Teilnehmerin Iris geht aus der zweieinhalbstündigen Einheit gestärkt hervor. Angst wird sie sicher auch künftig haben, wenn sie alleine im Dunkeln unterwegs ist oder in gefährliche Situationen gerät. Aber die 36-Jährige weiß nun besser, wie sie damit umgehen kann.