JUBILÄUMSJAHR
„Eberhard Linke: Landschaft und Skulptur“ ist bis 29. April im Landesmuseum zu sehen. Linkes Zeichnungen aus dem Zyklus „Mönchsphantasien“, die nicht wie geplant schon jetzt Teil der Schau werden konnten, werden ab Anfang November im Landesmuseum zu sehen sein. Öffnungszeiten: Di. 10 bis 20 Uhr, Mi. bis So. 10 bis 17 Uhr.
Die Sonderschau ist Teil einer Reihe von Veranstaltungen, die 2017 anlässlich des 80. Geburtstags des Künstlers stattfinden. Eingeläutet wurde das Linke-Jubiläumsjahr im März mit „Faszination Mensch II“ in der Galerie Mainzer Kunst, die jetzt gemeinsam mit der Eberhard & Barbara Linke Stiftung auch an der Schau im Landesmuseum beteiligt war. Parallel dazu waren die Großplastiken „Mauerläufer II“ und „Der Mann vom Castrum“ im Mainzer Stadtraum zu sehen.
Als weiterer Punkt zum Jubiläumsjahr wird am 20. Oktober in Kirchheimbolanden „Luther und andere – Köpfe der Reformation“ eröffnet.
MAINZ - Stillstand gibt es bei Eberhard Linke nicht. Fast scheint es, als wollten die Skulpturen des rheinhessischen Künstlers, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag gefeiert hat, Lessings „Laokoon“-These persönlich zu Grabe tragen: Die Plastik galt Lessing ja als reine Raum-Kunst. Also als Kunst, die anders als die Dichtung auf einen einzigen Zeitpunkt fixiert ist. Die zwar Gegenstände, aber nichts zeitlich aufeinander folgendes und damit keine Handlung darstellen könne.
Bei Linkes Plastiken, von denen ausgewählte Werke jetzt im Rahmen der Sonderschau „Landschaft und Skulptur“ im Mainzer Landesmuseum zu sehen sind, wirkt jedoch kaum etwas fixiert – fast alles ist Bewegung, Verschiebung, Veränderung. Das fängt schon bei der Oberfläche seiner Terrakotta-Arbeiten an – etwa „Befreiung“ (1999), die gleich im Foyer auf den Besucher wartet. Die Risse, Brüche und Schründe, die hier die Haut dieses tönernen Menschen fast wie Baumrinde wirken lassen – sie sind ein Markenzeichen des 2017 mit der Max-Slevogt-Medaille ausgezeichneten Künstlers.
„Befreiung“ hat etwas fundamental Dramatisches
Linkes sich selbst befreiender Mensch sprengt das Statische, das Lessing der Plastik zuschreibt, aber auch auf viel grundlegendere Weise. Die kraftvolle Vorwärtsbewegung, mit der er sich von der Gestalt hinter ihm (seinem alten Selbst?) losreißt, diese dabei fast zu zerstören scheint (jedenfalls sind von ihr nur noch Bruchstücke zu sehen): das hat etwas fundamental Dramatisches. Damit ist nicht nur die emotionale Intensität gemeint – sondern eben auch das Zeitliche, Prozesshafte, kurz: die Handlung, die diese Skulptur ohne Frage erzählt. Fast noch deutlicher wird das bei der Bronze-Großplastik „Mauerläufer II“ (1979/80), die nach einem Ausflug in den Mainzer Stadtraum, wo sie bis vor Kurzem vor dem Rathaus zu sehen war, jetzt im Innenhof des Landesmuseums Platz gefunden hat. Mehrere Menschen kämpfen sich längs durch eine Mauer hindurch – und je nachdem, aus welchem Blickwinkel der Besucher sie betrachtet, scheint sich der Fortschritt, den sie dabei schon errungen haben, ja scheint sich sogar die Anzahl der Kämpfenden zu ändern. Wer sie einmal umrundet, sieht mit jedem Schritt einen Arm, einen Kopf, ein Bein mehr, erhält mit jedem Schritt einen neuen Einblick.
Die Sonderschau widmet sich jedoch nicht nur Linkes Skulpturen, sondern auch seinen Zeichnungen – wobei ein Teil davon, jene aus dem Zyklus „Mönchsphantasien“, anders als angekündigt erst ab November zu sehen sein wird. Die bereits jetzt ausgestellten Landschafts- und Figurenzeichnungen offenbaren ein ähnliches Interesse an Aufbrechendem und tektonischen Verlagerungen wie jenes, das aus Linkes Plastiken spricht. Bei der überaus gut besuchten Eröffnung der Ausstellung am Sonntag bezeichnete der Künstler selbst zudem besonders die Aktzeichnung als wichtige Voraussetzung seiner bildhauerischen Arbeit. „Ich musste zunächst die menschliche Figur studieren, um sie in der Skulptur zwar deformiert, aber auf stimmige Art und Weise darstellen zu können“, so Linke, der die Besucher in Kleingruppen auch durch die Schau führte und Fragen zu seinen Werken beantwortete.
Diese sind im Landesmuseum übrigens nicht einem einzigen Raum zugewiesen, sondern erobern sich ihren Platz inmitten der Dauerausstellung. Zum Teil entstehen daraus interessante Dialoge, etwa wenn Linkes „Ausbrechender“ (1974) in der Abteilung „Kunst der Moderne“ in unmittelbarer Nachbarschaft der zwar in ihren Proportionen ebenfalls deformierten, aber doch sehr klassisch wirkenden Frauenkörper von Wilhelm Lehmbruck steht. Der schönste Bezug findet sich jedoch wiederum im Innenhof: Die Großplastik „Römisches Mauerfossil“ (1980), die zwei antike Krieger als in die Reste der römischen Stadtmauer eingelagerte Fossilien darstellt, steht unmittelbar vor der Steinhalle – in der das Landesmuseum seine römischen Archäologie-Schätze zeigt.