Fahlerkerb: 650 Jahre alte Tradition wurde 2020 gewahrt
Mein Jahr: Wie der Kerbevadder der Fahlerkerb, Nikolai Gerheim, das Jahr 2020 erlebt hat und wie die alten Rechte der Laufenseldener trotz Coronapandemie gewahrt blieben.
Von Thorsten Stötzer
Ein großer Moment: Nikolai Gerheim führt die Laufenseldener Kerbegesellschaft auf den Fahlerplatz in Rettert.
(Foto: Thorsten Stötzer)
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LAUFENSELDEN - Nikolai Gerheim spricht selbst von einem „Kindheitstraum“, der sich 2020 erfüllen sollte. Schon im November 2019 war er gewählt worden, um Kerbevadder der Fahlerkerb zu werden, nachdem er vier Mal zuvor zu den Kerbeburschen gezählt hatte, nur Daniel Römer war ein Mal mehr dabei. Alles lief gut an. Zur Kappensitzung in Laufenselden am 22. Februar hatten sich schon 14 Kerbepaare gefunden, das war für den frühen Zeitpunkt ein Rekord.
Keiner ahnte seinerzeit, dass die Fastnacht für lange Zeit die letzte öffentliche Veranstaltung im Ort sein würde. Drei markante Daten hat Gerheim im Kopf. Am 15. April, am 17. April sowie am 10. Mai fielen in Bund, Land und Laufenselden wichtige Entscheidungen, die das Traditionsfest betrafen. Viel Arbeit war bereits vor diesen „Krisentreffen“ angefallen: „Am 10. Mai war alles geklärt.“
Man hatte Musiker engagiert und die Weinkarte fast fertiggestellt. Der VW-Bus mit dem Schriftzug „de Fritz un de Kall“ – eine Zeile aus einem Fahlerkerb-Lied – hatte den TÜV gemeistert. Fortgeschritten war die Suche nach einem vierten Winzer. Geordert waren Schärpen für die Kerbe-Mädchen, weiße Kappen für die Burschen aus Stuttgart, blau-orange Bändchen für die Ehrengäste aus Bayern.
Ivo Prahm hatte ein dickes hölzernes Sparschwein für Spenden beim Eierbacken gezimmert. Das steht heute bei Nikolai Gerheim in dem Büro, das Schauplatz unzähliger Treffen mit Fahnenträger Christoph Müller, Kassierer Sascha Drescher und Schriftführerin Tina Jakob war. Wohl jedes Zimmer in der Wohnung bietet Bezüge zur Fahlerkerb, angefangen mit dem auf die Wand gemalten tanzenden Pärchen im Flur. Dann trat „das schlimmste Szenario seit dem Zweiten Weltkrieg“ ein.
Letztlich wurden die Tradition und die rund 650 Jahre alten Rechte der Laufenseldener gewahrt. „Aber wir haben viele Schläge eingesteckt – die Retterter auch“, berichtet Nikolai Gerheim. Dass außer dem Marsch ins rheinland-pfälzische Nachbardorf fast alle Veranstaltungen auf unbestimmte Zeit verschoben wurden, gefiel nicht jedem. Statt bis zu 2000 Leuten liefen gut 70 Menschen mehr oder minder heimlich nach Rettert. Mancher war enttäuscht, dass er nicht eingeladen war.
„Wir sind unverschuldet in diese Situation gekommen“, erklärt der Kerbevadder. „Zwei Wochen vorher sah es schlechter aus“, blickt Gerheim auf den August zurück. Letztlich überwog die Anerkennung für eine organisatorische Meisterleistung, die im dreimaligen Umrunden mit Fahne und Tuch des Fahler-Platzes in Rettert durch Laufenseldens Kerbe-Gesellschaft mündete. „Das ist immer Gänsehaut pur“, sagt Nikolai Gerheim. Einige Altvordere hätten gar Tränen in den Augen gehabt.
Nach diesen historischen Momenten wachsen inzwischen die Zweifel, ob die ausgefallenen Feierlichkeiten 2021 nachgeholt werden können. Immerhin wurde am Tag des Marsches in Nikolai Gerheims Garten noch bis tief in die Nacht gefeiert. Mit Musik und vielen Freunden hatte er dort bereits Wochen zuvor seinen 30. Geburtstag erlebt. „Es war ein tolles Jahr für mich persönlich“, bilanziert er daher trotz Corona. 2021 wird zudem gut starten: Am 1. Januar wurde der Wirtschaftsjurist jüngster Prokurist in der Firmengeschichte seines Arbeitgebers, der Dornhöfer GmbH in Mainz.