MAINZ - Matthias Ningel braucht kein modernes iPhone, sein Uralt-Handy reicht ihm völlig. Er hält es ins Scheinwerferlicht. „Ein Vorkriegs-Modell.“ Natürlich kann er damit keine der vielen gängigen Apps nutzen, aber das macht nichts. „Ich habe eine App, die ganz ohne Smartphone auskommt“, eröffnet er dem Publikum im Unterhaus, „eine App, die einem Brühe kocht, wenn man Durchfall hat, eine App, die einem Klamotten kauft: meine Eltern.“
Doch neulich klopfte die weibliche Hälfte dieser App an die Tür seines Kinderzimmers … Ningel setzt sich ans Klavier, um davon musikalisch zu erzählen: „Junge, hast du einen Augenblick Zeit? / Wir müssen reden. Sag, bist du bereit? / Du wohnst schon immer hier, bist 30 Jahr, / so ein Auszug wär durchaus vorstellbar.“
„Jugenddämmerung“ nennt der erst 29-jährige Musikkabarettist Ningel sein aktuelles Programm. Darin reist er mit seinem Publikum an die Schwelle zum späten Erwachsenwerden. Von dort starrt er nach vorn auf den Ernst des Lebens und schaut zurück auf eine Kindheit, eine Pubertät, auf eine „ganze Generation, die in den 90er Jahren ihre Jugend unter den verstörenden Klängen von DJ Bobo verbracht hat“.
Für sein Debüt „Omegamännchen“ erntete Ningel reichlich Lob. Es hagelte förmlich Kleinkunstpreise. Im Unterhaus allerdings ist er erst jetzt, mit seinem zweiten Solo, zu Gast. Das verwundert, schließlich studierte er an der Mainzer Musikhochschule – mit Auszeichnung.
Die Mama-App möchte nicht nur, dass der Sohn endlich auf eigenen Beinen steht: Sie wünscht sich sehnlichst Enkelchen. „Ausziehen und Kinder kriegen, das ist meine Agenda 2017“, sagt Ningel. „Ich fange heute damit an. Also, hat jemand von euch heute Abend vor, sich fortzupflanzen?“
So weit geht die Sympathie des Publikums dann doch nicht, auch wenn Ningel mit „Jugenddämmerung“ großartig ankommt in Mainz. Seine Lieder sind witzig, geistreich und originell. Er ist ein Meister der überraschenden Wendung und der fröhlichen Selbstironie. Er stellt sich dar als großes, orientierungsloses und nur bedingt überlebensfähiges Muttersöhnchen. Tatsächlich aber ist er ein gewiefter Künstler, der ein ausgefeiltes Programm mit einem frischen Thema serviert.
Klavierspielen, erzählen, mit dem Publikum flirten – all das scheint ihm federleicht von der Hand zu gehen. Für sein Debüt im Unterhaus hat er sogar eine junge Band mitgebracht, die mischt noch mal neue Farben in den Abend, auch wenn das gar nicht nötig gewesen wäre: Ningel treibt es auch solo wunderbar bunt.