"Bei Ostwind ist es die Hölle": Dröhnkulisse durch Fluglärm belastet Mainzer Anwohner
Blauer Himmel, Sonnenschein – der Sommer könnte so schön sein. Doch bei Ostwind ist Mainz für manche „die Hölle“. Denn dann wird am Frankfurter Flughafen auf Ostbetrieb umgeschaltet. 37.981 Flugzeuge sind nach neuesten Zahlen der Fraport in den Monaten Mai, Juni und Juli über Mainz zur Landung nach Frankfurt gedröhnt. Bretzenheim, Hechtsheim und die Oberstadt sind am schlimmsten betroffen.
Von Paul Lassay
Lokalredakteur Mainz
Wird mit der Inbetriebnahme des Terminals 3 auch der Fluglärm in Rheinhessen und im Bereich Groß-Gerau steigen?
(Archivfoto: Sascha Kopp)
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MAINZ - Wenn man das Haus von Diana Ries-Tisken in Bretzenheim sucht, kann man sich an den Straßenbahngleisen entlanghangeln. Von den Schienen ist es nicht weit bis zu dem Haus mit Garten in einer ruhigen Ecke des Stadtteils. In diesem Sommer findet man den Weg aber auch anders: Eine scheinbar niemals endende Kette von Flugzeugen am Himmel weist den Weg – und auch sie sind nicht weit weg von der Bahnstraße, wo die 68-Jährige einen in Empfang nimmt, die hier mit ihrem Mann lebt. Im Flur hängt eine große Flagge mit den Farben des Regenbogens: Pace steht darauf. Frieden. Und Frieden ist es auch, was die Rentnerin möchte. Frieden von den Maschinen.
NIIIIIIIAAAAAUUUUUUUMMM. Im Garten angekommen, stockt das Gespräch zunächst. Doch nicht weil es nichts zu sagen gäbe, sondern weil gerade Flug BCS 6717 aus London in etwa 1000 Metern Höhe dem Frankfurter Flughafen entgegensinkt. Und das nicht gerade geräuschlos. Auf mehreren parallelen Bahnen ziehen die Maschinen über den Garten und an ihm vorbei. Manchmal ist es ein fernes Grollen, manchmal ein Dröhnen und Kreischen. Eigentlich sei die Gegend sehr ruhig, sagt Ries-Tisken, als sich BCS 6717 Richtung Oberstadt entfernt hat. „Aber bei Ostwind ist es die Hölle.“ Denn dann wird am Frankfurter Flughafen auf Ostbetrieb umgeschaltet. „Betriebsrichtung 07“ lautet die Mainzer Schreckenslosung. NIIIIIAAAAAUUUUUMMMM. „Wenn Sie das den ganzen Tag auf den Ohren haben, bekommen Sie irgendwann das Gefühl, Sie ticken aus.“ So schlimm wie in diesem Jahr habe sie es noch nicht erlebt, sagt Ries-Tisken. Teilweise fliehe sie geradezu von zu Hause. Dann geht sie in die Innenstadt, wo der Straßenlärm die Dröhnkulisse von oben schluckt.
Durchschnittlich 442 statt 199 Flüge pro Tag
Eine andere Schreckenszahl lautet: 37.981. So viele Flugzeuge sind nach neuesten Zahlen der Fraport in den Monaten Mai, Juni und Juli über Mainz zur Landung nach Frankfurt gedröhnt. 20.000 mehr als in den gleichen Monaten des Vorjahres. Pro Tag bedeutet das durchschnittlich 442 statt 199 Flüge, die über die Dächer und Gärten kreischen. Im Mai dieses Jahres kamen sogar 77 Prozent der Anflüge nach Frankfurt über Mainz. Im Jahresdurchschnitt sind es normalerweise 30 Prozent. „Alle sprechen von dem tollen Wetter, dem heißen Sommer“, ärgert sich Ries-Tisken. „Für mich ist das ein Lärm-Sommer.“ Auf einem Zettel hat sie die Zeiten von Überflügen gesammelt, um sich zu beschweren. 17.59 Uhr, 18.01 Uhr, 18.04 Uhr steht da in einer langen Reihe, oder auch 22.36 Uhr, 22.45 Uhr. Der Zettel ist ziemlich voll. Doch Entschädigungen oder Lärmschutzmaßnahmen sind in weiter Ferne. Weit jenseits des Rheins. Sie lebe außerhalb der „Tag-Schutzzone 1“, schreibt ihr Fraport zurück. Die Zone ist ein schmaler Streifen vom Flughafen bis auf die Höhe von Kostheim. Keine Chance.
Dabei sei der Garten quasi nicht zu benutzen, klagt die Bretzenheimerin. Bei schönstem Wetter spendet ein großer Baum Schatten, doch gegen den Lärm ist sie machtlos. „Ich mache hier gar nichts mehr“, sagt sie und weist auf die teilweise verdorrten Beete. „Wir sitzen ja sowieso nie hier.“ Und nachts könne man noch nicht einmal die Fenster öffnen, da man sonst um fünf Uhr morgens aufrecht im Bett sitze. „Manche sagen ja, sie hörten den Lärm gar nicht mehr. Aber ich habe als Konferenzdolmetscherin mein ganzes Leben mit meinen Ohren gearbeitet. Und ich bin leider nicht hörgeschädigt“, sagt sie und lacht bitter. Hinzu kämen ja noch die Stoffe, die von den Flugzeugen am Himmel verteilt würden und auf der Erde landeten. „Das ist doch kein Lavendelöl, was da raus kommt.“
Wenig Hoffnung auf baldige Besserung
Als sie mit ihrem Mann in das Haus einzog, war es noch relativ ruhig am Himmel. „Wegen der Ruhe sind wir ja hierhin gezogen“, erklärt Ries-Tisken. Doch dann schwebte 2011 Angela Merkel zur Eröffnung der neu gebauten Nordwest-Landebahn ein. Und der Ärger begann.
Sie fühle sich alleingelassen, sagt die Rentnerin. Es müsse doch einmal Entlastung geben, man könne doch nicht alle Flüge über Bretzenheim schicken. Andere Flugrouten müssten her.
Doch die Auskünfte von Dieter-Sebastian Hulick machen wenig Hoffnung auf baldige Besserung. Routenumlegungen seien sehr aufwendig und brauchten viel Vorlauf, erklärt der Pressesprecher der Fraport. Das gelte insbesondere für den sensiblen Landeanflug. Das gegenwärtige Instrumentenlandesystem erfordere im Anflug ab einem bestimmten Punkt eine längere gerade Linie – und die führt über Bretzenheim, Hechtsheim und die Oberstadt. In der Zukunft könne eventuell ein System genutzt werden, das mit GPS-Daten arbeitet und gekurvte Anflüge ermöglicht. „Aber das ist noch Zukunftsmusik“, sagt Hulick. Zunächst müssten dazu die Airlines die Transponder in ihre Maschinen einbauen und standardisierte international gültige Abläufe festgelegt werden. Da müsse man sicher in großen Zeiträumen denken. Vom Deutschen Wetterdienst kommen da bessere Nachrichten für Ries-Tisken. Anzeichen dafür, dass das Nordmeer-Hoch in Zukunft häufiger auftreten könne, gebe es nicht, sagt der Meteorologe Andreas Friedrich. Über einen längeren Zeitraum betrachtet handele es sich nur um eine Schwankung im chaotischen System der Atmosphäre. Die Großwetterlage sei außergewöhnlich, trete aber immer mal wieder auf. Entwarnung und Drohung zugleich.