MAINZ - Ein Mensch stürzt von einer Brücke, 50 Meter tief, und alles sieht aus wie ein Selbstmord. Auch für die Polizei. Doch dann bringt die Obduktion trotz des zerschmetterten Körpers die Wahrheit ans Licht: Zwei Schüsse hatten das Opfer getroffen, bevor es noch lebend in die Tiefe geworfen wurde. Der nun scheidende Direktor der Mainzer Rechtsmedizin, Professor Reinhard Urban bekannte beim Prozess, dass man die Schusswunden zunächst nicht entdeckt habe. Erst beim Röntgen erkannte er die Schusskanäle.
Viele spektakuläre Fälle wie dieser verbinden sich mit dem Namen Reinhard Urban. Doch der 68-Jährige hat nicht nur vielen Toten zu ihrem letzten Recht verholfen, sondern auch immer das Schicksal der lebenden Opfer im Blick. 2003 rief er die erste Forensische Ambulanz Deutschlands ins Leben. Nun geht der doppelt promovierte Chemiker und Mediziner Ende April in den Ruhestand – und hat mehr Zeit für ein großes Ehrenamt: Er ist seit September Präsident des Mainzer Carnveal-Vereins MCV.
Zwölf Jahre Dekan des Fachbereichs Medizin
14 Jahre Chef der Rechtsmedizin sind ein Aspekt seines Wirkens an der Universitätsmedizin, der andere währte mit zwölf Jahren kaum kürzer: Urban war von 2001 bis 2013 Dekan des Fachbereichs Medizin und bekleidete ab der Umfirmierung der Uniklinik zur Universitätsmedizin 2009 auch die Funktion des Wissenschaftlichen Vorstands. Praxisorientierte Lehre, Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und die Erhöhung des Frauenanteils in der Professorenschaft, etwa durch Etablierung des Edith-Heischkel-Mentoring-Programm, werden ihm zugerechnet, aber auch die Profilbildung im Bereich der Forschung. Sonderforschungsbereiche und hoch dotierte europäische Förderprogramme wurden in seiner Zeit für die Uniklinik gewonnen, in seiner Amtszeit wurden aber auch 435 Millionen Euro an Drittmitteln eingeworben.
Ein Schmunzeln für die Fernseh-Kollegen
Mit Leib und Seele ist Urban Rechtsmediziner, und er hat den Beruf ergriffen, als noch keine TV-Serien dem Berufsstand eine gewisse Popularität verliehen haben. Aber das war dem Bayer, der seine Fernsehkollegen mit einem Schmunzeln sieht, ohnehin nie im Geringsten Antrieb, auch wenn spektakuläre Fälle und Auftritte vor Gericht ihn immer wieder ins Licht der Öffentlichkeit haben treten lassen: Da war der Dreifach-Mord in Worms, der Fall Lolita Brieger, die 29 Jahre nach ihrer Tötung 2011 gefunden wurde, oder der ebenfalls viele Jahre vermissten Trierer Studentin Tanja Gräff.
Er sieht sich als Anwalt der Toten, und gab mit der Forensischen Ambulanz an der Mainzer Rechtsmedizin den Lebenden eine wichtige Unterstützung. Sie ist die Anlaufstelle für Kinder und Frauen, die Opfer von Gewalt und/oder Sexualstraftaten geworden sind.