Nach Mainzer Gräberfund sechs Monate lang Baustopp

Bei Bauarbeiten des neuen Vereinsheims der Mainzer Schützengesellschaft 1862 war kürzlich ein Massengrab aus dem Jahr 1813 entdeckt worden. Archivfoto: Sebastian Stenzel/Wiesbaden112.de
© Archivfoto: Sebastian Stenzel/Wiesbaden112.de

Die Bauarbeiten am Vereinsheim der Mainzer Schützengesellschaft 1862 sind gestoppt, für den Verein ist das alles andere als erfreulich. Das Grabfeld soll nun erforscht werden.

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HARTENBERG-MÜNCHFELD. Schlechte Nachrichten für die Mainzer Schützengesellschaft von 1862 (MSG): Nachdem bei Bauarbeiten für ein neues Vereinsheim ein historisches Massengrab entdeckt wurde (wir berichteten), hat nun die Landesarchäologie auf dem Baufeld für sechs Monate ein Grabungsschutzgebiet ausgewiesen. Damit soll die Erforschung des Grabs, in dem mehrere Hundert oder sogar Tausend Tote bestattet wurden, sichergestellt werden. Der damit erzwungene Baustopp sei für den Verein „desaströs“, betonte Karin Trautwein (CDU), Ortsvorsteherin von Hartenberg-Münchfeld. „Es muss einen Baufortschritt geben“, forderte sie im Bau- und Sanierungsausschuss.

Das ist aber leichter gesagt als getan. Denn noch herrscht großes Rätselraten, wie mit dem Fund aus dem 19. Jahrhundert umzugehen ist. „Das ist das erste Grab außerhalb eines Friedhofs in Mainz“, sagte Dr. Kathrin Nessel, Abteilungsleiterin für Denkmalpflege im Bauamt. Was genau mit dem historischen Begräbnisfeld, das als Kulturdenkmal gewertet wird, geschehen muss, werde derzeit eruiert.

Anfangs war sogar von einem Verbrechen ausgegangen worden. Als die ersten Knochen auftauchten, wurde deshalb die Polizei gerufen. Schnell aber zeigte sich, dass die Toten ein Thema für die Archäologie sind und nicht für Kriminalisten. Wie bereits berichtet, handelt es sich bei den Skeletten um die Überreste von Opfern einer Fleckfieber-Epidemie im Jahr 1813, als Mainz zum napoleonischen Frankreich gehörte. Die Krankheit – damals „Typhus de Mayence“ genannt – hatte wohl die Grande Armée in die Domstadt gebracht. Laut Nessel sind in dem Massengrab nicht nur französische Soldaten, sondern auch Mainzer Bürger bestattet worden. „Es sind Mischbestattungen“, betonte sie.

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Damals sollen 17000 Soldaten und 2500 Bürger am Fleckfieber gestorben sein. Es wird vermutet, dass es in Mainz mehrere Massengräber gibt. Für die Wissenschaft könnte die Entdeckung einer dieser Bestattungsstellen ein Glücksfall sein. So äußerte Ann Kristin Pfeifer (Grüne) die Hoffnung, dass sich in Hartenberg-Münchfeld ein „spannender Blick“ in die Zeit des napoleonischen Mainz öffne.

Die Freude darüber dürfte sich bei Gerhard Weitzel, Vorsitzender der MSG, in Grenzen halten. Dass die Verzögerungen der Bauarbeiten den Schützenverein in Bedrängnis bringen, hatte der MSG-Chef gegenüber der AZ berichtet. Für den Verein ist das Bauprojekt nämlich ein finanzieller Kraftakt. Der Baustopp wird das Vorhaben nun verteuern. Das ist für den Verein schon mehr als unangenehm, aber es kommt noch schlimmer: Die Toten liegen genau dort, wo eine unterirdische Schießanlage geplant ist. Und eine Umbettung gilt als unfinanzierbar.

Ungewiss ist auch, ob der französische Staat Interesse an dem Massengrab hat. Die Hoffnung, dass das Nachbarland sich an der Bergung der Toten finanziell beteiligen könnte, ist derzeit aber wohl nur ein frommer Wunsch. Und die Zusicherung von Nessel, dass die Verwaltung einen fairen und juristisch korrekten Weg suche, dürfte den Verein ebenfalls wenig beruhigen. Denn wohin dieser Weg die Verwaltung führt, ist unklar.