Studie fordert mehr Engagement in der Wiesbadener Industriepolitik
Von Wolfgang Wenzel
Lokalredakteur Wiesbaden
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AMÖNEBURG/KOSTHEIM - Mehr Engagement in der Industriepolitik wird in einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik von der Stadt verlangt. Sie müsste sich klar zur Industrie positionieren, heißt es in dem Papier, das die Schwächen und Stärken des Standorts Wiesbaden herausarbeitet.
Die größten Schwächen liegen im Nicht-Wahrnehmen der Industrie als Wirtschaftsfaktor, in fehlenden Flächen und in zu teuren Wohnungen. Für viele Mitarbeiter seien die Preise unerschwinglich, heißt es in der 84 Seiten starken Studie, die auf Befragungen des Instituts bei den Firmen basiert. Die Industrie trage elf Prozent zur Wirtschaftsleistung im Stadtgebiet bei, sie beschäftige jeden zehnten Arbeitnehmer. Trotzdem sei ihr Image schlecht. Die Betriebe würden als störende Faktoren und nicht als wichtige Stütze des Wirtschaftslebens betrachtet. Für das Image der Industrie werde zu wenig getan. „Der Oberbürgermeister engagiert sich persönlich sehr stark, aber die Industrie wird in ihrer Bedeutung nicht ausreichend kommuniziert“, heißt es.
Erster Schritt zum Masterplan
Im Hintergrund der Studie stehen Initiativen, die auf die Industriegewerkschaften Bergbau, Chemie und Energie zurückgehen und von der Stadt aufgegriffen wurden. IG BCE-Bezirksleiter Ralf Erkens betrachtete die Studie als ersten Schritt zu einem von den Gewerkschaften geforderten Masterplan. Es sei positiv, dass die Stadt bei den Firmen nachgefragt habe. In der Studie würden Handlungsanleitungen erwähnt, die Antworten seien nicht klar ersichtlich. Entscheidend sei, welche Maßnahmen im Rathaus ergriffen würden, sagte Erkens. Es sei unklar, wie dort das Thema Industriepolitik verankert werden solle, ob sich die Stadt für einen Beirat nach Frankfurter Vorbild entscheide oder unter Beteiligung von Arbeitnehmern und -gebern einen eigenen Weg gehe.
Im Rathaus sei laut Studie nicht alles so, wie es wünschenswert wäre. Wahrscheinlich sei nicht einmal die industrielle Vielfalt in ihrer vollen Breite erfasst. Gerade in Amöneburg, Kastel und Kostheim lohne es sich, noch einmal genau hinzuschauen, sagte Erkens.
Mit SCA in Kostheim ist die Stadt laut Verband der Papier- und Pappenindustrie der mit Abstand größte Papierstandort Hessens. Kein anderer Betrieb habe mehr Beschäftigte und einen höheren Umsatz, hieß es im Arbeitgeberverband. In der Studie ist von Papierherstellern kaum die Rede. Sie betont dagegen die Rolle der Stadt als drittgrößter Chemiestandort Hessens mit dem Industriepark Kalle-Albert und einigen anderen Firmen.
Die Industrie sei zu einem Jobmotor im Stadtgebet geworden, heißt es in der Studie. Die Zahl der Betriebe sei rückläufig, die Zahl der Beschäftigten seit 2014 von 12 021 auf 13 192 jedoch sprunghaft nach oben gegangen. Für die Wirtschaftsförderung im Rathaus ergebe sich ein großes Aufgabengebiet. Sie müsste vorausschauend auf den Strukturwandel und auf die Anforderungen des Standorts reagieren, heißt es in dem mit „Stärkung des Industriestandorts Wiesbaden“ überschriebenen Gutachten. Als Schlüsselgrößen werden darin die Gewerbegebiete Petersweg für Handel, Produktion und Logistik, Max-Planck-Park in Delkenheim für Technologie, Forschung und Entwicklung sowie Kastel Ostfeld genannt. Es gebe jedoch zu wenig Gewerbeflächen. Die meisten Betriebe wollten erweitern und nicht schrumpfen, sie hätten für die nächsten fünf Jahre positive Erwartungen. 45 Prozent meldeten Flächenbedarf an, ihre Erweiterungspläne seien jedoch eingeschränkt.
Laut Studie ist die Industrie im Stadtgebiet betont international ausgerichtet. Fast die Hälfte der Produktion gehe in den Export, es gebe einige sehr große und viele kleine Betriebe. Nordamerika, Italien, Frankreich und China seien die größten Handelspartner. Viele Firmen mit Sitz in Wiesbaden hätten Tochtergesellschaften im Ausland, vorwiegend in den USA. Da es keine Neuansiedlungen gebe, greife Unsicherheit um sich. Das Image der Stadt als ein „Altersruhesitz“ wirke auf einen dynamischen Wirtschaftszweig nicht gerade verlockend. Ziel wäre es, über die Kultur als einen weichen Standortfaktor zu einem jugendlicheren Image beizutragen.