
Thomas Gutberlet erklärt im Interview, warum bio und regional auch in der Krise noch gefragt sind, wie sich die Branche entwickelt und was er mit dem Mini-Supermarkt „Teo” plant.
Mittelhessen. Über die Zukunft von Lebensmittelmärkten im ländlichen Raum, Regionalität und Bio, den Hackerangriff auf sein Unternehmen sowie die durch ihn angeregte Debatte über frühere Ladenschließungszeiten, spricht der 52-jährige Tegut-Chef Thomas Gutberlet im Interview. In dieser Woche wird die Fuldaer Supermarktkette 75 Jahre alt. Auch in Mittelhessen hat das Unternehmen zahlreiche Filialen.
Kürzlich waren Sie ein gefragter Gesprächspartner, nachdem Sie kürzere Ladenöffnungszeiten angeregt hatten, um Energie zu sparen. Haben Sie damit gerechnet, dass Ihr Vorstoß ein solch großes mediales Echo nach sich zieht?
Nein, habe ich nicht. Außerdem hat zunächst niemand darauf reagiert und es hat einige Wochen gedauert, bis es dann zu einem öffentlich diskutierten Thema wurde. Für mich spielen bei der Idee zwei Dinge zusammen. In Deutschland überlegen wir uns zur Zeit die verrücktesten Dinge, um Energie zu sparen – etwa auf die städtischen Weihnachtsbeleuchtungen zu verzichten oder im Privaten kürzer zu duschen. Ich bin aber zu der Überzeugung gekommen, dass man mit kürzeren Öffnungszeiten über alle Branchen hinweg deutlich mehr Energie einsparen könnte als bei der eben genannten Weihnachtsbeleuchtung. Außerdem müssen kurze Öffnungszeiten auch fernab der Energiekrise diskutiert werden. Die Berufsbeschreibung einer Verkäuferin oder eines Verkäufers ist nicht besonders attraktiv. Das muss sich ändern.
Wie haben Sie das Feedback wahrgenommen?
Ich habe mich über die kontroverse Diskussion gefreut. Natürlich gibt es auch Menschen in Berufen im Schichtdienst wie in der Pflege oder im Krankenhaus, die sich freuen, wenn der Handel länger geöffnet hat. Deshalb fielen die Rückmeldungen sowohl positiv als auch negativ aus. Die öffentliche Diskussion hat jetzt begonnen und vielleicht nimmt die Politik das Thema ja doch noch mal auf. Enttäuscht bin ich aber von den Ministerien. Ich hätte schon erwartet, eine Antwort auf mein Schreiben zu erhalten, aber nicht einmal von einer Vorzimmerdame kam etwas zurück. Das fand ich ehrlich gesagt ganz schön ignorant. Aber die Politik weiß durchaus, dass das ein heikles Thema ist, mit dem man sich nur in die Nesseln setzen kann. Das sehen wir immer wieder bei der Diskussion um die Sonntagsöffnungszeiten. Allerdings möchte ich etwas an dieser Stelle korrigieren. In vielen Medien war fälschlicherweise berichtet worden, dass ich den Brief an alle Bundesländer geschrieben habe, aber ich habe nur die Bundesländer angeschrieben, in denen Tegut auch mit Filialen vertreten ist.
Mit kürzeren Öffnungszeiten würden Sie aber auch erhebliche Mitarbeiterkosten einsparen und Sie müssten deutlich weniger Menschen beschäftigen.
Ganz im Gegenteil. Wir suchen händeringend nach neuen Mitarbeitern im Einzelhandel. Deshalb muss das Jobprofil unbedingt wie angesprochen attraktiver werden. Außerdem hätte dies den Vorteil, dass die Angestellten kompakter zusammenarbeiten. Das heißt mehr Service für die Kunden, wenn sie mehr Beschäftigte auf kleinerem Raum vorfinden, die sie ansprechen können.
Themenwechsel: Tegut war der erste Supermarkt in Deutschland, der auf das Thema Bio setzte und damit sein Image prägte.
Wir haben bereits Anfang der 1980er damit begonnen, Bio-Produkte anzubieten. Das geht auf die Idee meines Vaters zurück, der die Qualität der angebotenen Ware verbessern wollte. Ursprünglich ging es also um bessere Qualität. Damals gab es aber noch gar keine staatlichen Regelungen. So haben wir begonnen, mit Bauern zusammenzuarbeiten, die für uns Kühe gehalten haben. Wir haben da sehr viel Basisarbeit geleistet und wurden argwöhnisch beäugt. Zu dieser Zeit ist dann auch Götz Rehn bei meinem Vater im Büro aufgetaucht und hat dann die Marke Alnatura entwickelt. Diese Marke ist genauso wie wir immer weiter gewachsen. Heute beträgt unser Umsatzanteil bei Bioprodukten 30 Prozent.
Durch die stark ansteigenden Lebenshaltungskosten könnte Bio aber aus der Mode kommen.
Es ist absolut nachvollziehbar, dass die Menschen jetzt beim Einkauf Geld sparen wollen und sich dieser mit dem Haushaltsbudget vereinbaren lassen muss. Aber komplett umstellen wollen sich unsere Kunden nicht. Wer bislang auf regionale Lebensmittel in Bioqualität gesetzt hat, tut dies auch weiterhin. Die Kunden kehren nicht von ihrer ökologischen Denkweise ab und differenzieren im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten. Derzeit erleben wir, dass unsere Bio-Eigenmarke sehr stark frequentiert und auf teurere Bio-Produkte verzichtet wird. Allgemein wird auch weniger Rindfleisch konsumiert.
Welche Trends erleben Sie in der Lebensmittelbranche?
Ganz klar steigt die Nachfrage nach veganen und vegetarischen Produkten. Der Markt der Austauschprodukte wächst derzeit immer noch. Außerdem lässt sich an den Einkäufen ein verändertes Konsumverhalten als noch während der Corona-Zeit ablesen. Die Menschen sind einfach wieder mehr unterwegs und greifen daher verstärkt nach Convenience-Lebensmitteln (bequemen Essen), die aber dennoch gesund sein sollen. Während Corona waren die Wochenabläufe vieler Menschen gezwungenermaßen im Prinzip durchgeplant, was auch an den Einkäufen abzulesen war.
Ganz klar steigt die Nachfrage nach veganen und vegetarischen Produkten. Der Markt der Austauschprodukte wächst derzeit immer noch.
Apropos Trends: Mit „Teo“, einem 24 Stunden geöffneten, appgesteuerten Mini-Supermarkt, geht Tegut gerade neue Wege.
Wir brauchen keine Riesenlebensmittelmärkte mehr. Das Modell Einkaufen auf der grünen Wiese ist aus der Zeit gefallen. Die Kunden wollen ihre Lebensmittel direkt an ihrem Wohnort einkaufen und keine lange Fahrt und die damit verbundenen Kosten auf sich nehmen. Das gilt genauso für den ländlichen Raum als auch für städtische Wohngebiete. Gerade im ländlichen Raum können wir mit Teo ohne große Flächenversiegelung direkt zum Kunden kommen. Dort, wo die Nahversorgung weggefallen ist, können wir nun eine Alternative anbieten. Das ist einer der großen Vorteile der Digitalisierung und es macht sogar den Einkauf rund um die Uhr möglich. Wir sind sehr froh, dass wir das Projekt während der Corona-Zeit entwickelt und an den Markt gebracht haben. Ins Auto steigen und auf die grüne Wiese fahren, ist einfach nicht mehr zeitgemäß – ausgenommen bleibt der Einkauf auf dem Rückweg von der Arbeit.
Weil das Bezahlen aber über das Smartphone oder per Karte am Automaten passiert, könnten Senioren damit überfordert sein.
Da unterschätzen Sie die Senioren. Teo ist nicht nur etwas für junge Leute. Mittlerweile ist es die ältere Generation gewöhnt, das Smartphone zu nutzen. Als die Geldautomaten aufkamen, gab es ähnliche Befürchtungen, die sich nicht bewahrheitet haben. Unsere Erfahrungen zeigen sogar das Gegenteil. Mit der Einkaufsmöglichkeit vor Ort geben wir den Senioren ein großes Stück Selbstständigkeit zurück, da sie sich nicht mehr zum Einkauf fahren lassen müssen.
Auf der Firmen-Homepage ist nachzulesen, dass Sie aber mindestens 1000 Einwohner benötigen, um einen Teo rentabel zu betreiben. In ländlichen Räumen oft eine nicht zu überwindende Kenngröße.
Selbstverständlich brauchen wir eine bestimmte Anzahl an Kunden, damit sich das System rentiert. Aber die 1000 Einwohner sind nur eine Kenngröße. Das muss man sich von Fall zu Fall ansehen, beispielsweise ob der Teo auch von nahe gelegenen Nachbarorten frequentiert würde. Daher machen wir immer eine Standortanalyse. Dazu gehört auch, ob es noch einen Lebensmittelladen oder andere Angebote gibt. Aber wir befinden uns noch in der Anfangsphase und probieren viel aus, um Teo weiterzuentwickeln. Das macht dem Entwicklerteam und mir jede Menge Spaß. Beispielsweise entsteht jetzt ein Teo in Michelsrombach in unmittelbarer Nähe zum Radweg mit einer Ladestelle für E-Bikes. Außerdem wollen wir herausfinden, ob Menschen nachts von der Autobahn abfahren, weil sie die Lebensmittel wie eine Cola deutlich günstiger bekommen als an einer Raststätte. Unser Prototyp sah ja noch ganz anders aus als unsere ersten Teo-Filialen. Diese haben alle eine Bienenweide auf dem Dach und sind begrünt. Auch bei den Gebäuden haben wir von Anfang an auf Nachhaltigkeit gesetzt.
Nach dem Wegsterben der Tante-Emma-Läden sind vielerorts Regionalmärkte und Dorf- beziehungsweise Hofläden entstanden. Mit Teo tritt ihr Unternehmen nun in Konkurrenz zu diesen Angeboten.
Unser Ziel ist nicht in Konkurrenz zu treten. Wenn ein Dorf bereits einen Biodorfladen hat, ist er versorgt. In ländlichen Gebieten macht Konkurrenz überhaupt keinen Sinn, da würden beide Seiten nur verlieren. Wenn überhaupt würden wir eine Kooperation anstreben. Wenn also ein Hofladen auf uns zukommt, der gerne einen Teo betreiben würde, um ein größeres Angebot neben seinen eigenen Produkten zu schaffen, hören wir uns das gerne an und finden sicherlich einen gemeinsamen Weg. Das wichtigste auf dem Land bleibt die Kooperation. Deshalb stehen wir immer im Austausch mit Kommunen, sozialen Trägern oder der Landwirtschaft. Ganz klar ist, dass die Menschen vor Ort so ein Angebot aber auch haben und nutzen wollen. Ein Händler muss immer von seinen Kunden gewollt sein.
Für die Nahversorgung auf dem Land hatte Tegut bereits vor über zehn Jahren das Lädchen an den Start gebracht und in Hessen, Thüringen und Bayern immerhin 28 Filialen eröffnet. Löst Teo dieses Konzept bereits jetzt wieder ab?
Das Lädchen beruht wiederum auf einem ganz anderen Konzept und hat auch eine soziale Komponente. Das Lädchen ist nicht nur ein Lebensmittelgeschäft, sondern auch ein Gemeinschaftstreffpunkt und bildet so den Mittelpunkt des Dorfes. Darüber hinaus arbeiten dort überwiegend Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen wieder ins Berufsleben einsteigen wollten. Das Lädchen ist also durch Teo nicht obsolet. Aber es gibt bereits einige Anfragen, das Lädchen zu einem Teo umzugestalten. Das muss aber jeder Betreiber für sich genau abwägen, was er denn nun möchte.
Wie haben ihre Wettbewerber auf das Teo-Konzept reagiert?
Wir waren die Ersten, die mit dem Konzept an den Markt gegangen sind, aber das Thema ist innerhalb der Branche kein gänzlich neues. Einige Wettbewerber, darunter auch große Discounter, haben mittlerweile auch Testinstallationen. Es gibt sogar eine ganze Fülle an unterschiedlichen Unternehmen, die sich mit ähnlichen Konzepten beschäftigen. Aber unsere Teos sind optisch einfach die Schönsten. Wir haben nicht umsonst damit den deutschen Nachhaltigkeitspreis gewonnen. Aber trotzdem wollen und müssen wir das Konzept stetig weiterentwickeln.
Teo steht fast schon sinnbildlich für die Digitalisierung. Aber Sie mussten auch die Kehrseite der Digitalisierung erleben, als ein Hackerangriff in diesem Frühjahr Ihr Unternehmen von einem auf den anderen Tag mehr oder weniger lahm legte.
Hackerangriffe sind in der Tat ein großes Problem und kommen in Unternehmen viel häufiger vor, als viele Menschen denken. Aber die wenigsten Unternehmen kommunizieren dies dann auch nach außen. Dafür gibt es sogar gute Gründe, beispielsweise bei Lösegeldforderungen ist das nicht so trivial, wie sich das viele vielleicht vorstellen. Da wir uns als Unternehmen aber von Beginn an Transparenz auf die Fahnen geschrieben haben, haben wir umgehend sämtliche Mitarbeiter und Kunden informiert. Ich bin auch heute noch überzeugt davon, dass die Entscheidung, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, richtig war. Wir haben viel Unterstützung von Kunden und Geschäftspartnern erfahren. Durch den Hackerangriff wurden wir zwar gebeutelt, sind aber mit einem blauen Auge davon gekommen. Wenn man nicht kommuniziert und bereit ist, Lösegeld zu zahlen, werden Hackerangriffe für die Erpresser immer attraktiver. Außerdem war uns wichtig, zu sagen, ‚Leute, es kann jeden treffen‘. Selbstverständlich hängt keiner das Thema gerne an die große Glocke. Nun hat es auch die IHK getroffen und dort sieht man, wie gravierend die Folgen eines Hackerangriffes sein können. Ich kann nur jedes Unternehmen ermuntern, davon auszugehen, dass so etwa passieren kann. Daher braucht es zum einen guten Schutz, aber auch einen Plan B in der Tasche, wenn der Fall tatsächlich eintritt. Man muss sich bewusst sein, dass die größte Schwachstelle immer wir Menschen sind. Was nützt mir die beste Alarmanlage, wenn ich nach Hause komme und die Kinder den Schlüssel in der Haustür stecken gelassen haben?
Wie lief das nach dem Angriff bei Ihnen intern ab?
Die IT war rund um die Uhr im Einsatz und auch in den Lagern haben wir Nachtschichten geschoben, um das Warengeschäft weiterzutreiben. In der Logistik wurde dann mit Excel und Zetteln gearbeitet. Der Kunde hat vielleicht nicht immer die gewünschte Marke in den Regalen vorgefunden, aber stets noch eine Alternative. Glücklicherweise funktionierte unsere Grundinfrastruktur noch wie die Kassensysteme, Office-Pakete und die Apple-Geräte. Trotzdem war es eine anstrengende Zeit. Der Angriff ereignete sich an einem Wochenende und bereits am Sonntag kamen Forensiker und IT-Experten zu uns ins Haus, um möglichst schnell zu reagieren. Außerdem sind wir am Sonntag direkt nach Hamburg gefahren, um neue Hardware zu kaufen, damit die Systeme am Montagmorgen wieder aufgesetzt werden konnten. Der Hersteller in Hamburg hat uns dann auch berichtet, dass aufgrund zahlreicher Hackerangriffe seine Lager ziemlich leer sind.
Können Sie sich vorstellen, dass ein gezielter Hackerangriff sogar die Lebensmittelversorgung in Deutschland lahmlegen könnte?
Branchenintern ist dies ein Thema. Aber in der Regel trifft es nicht alle gleichzeitig, weil erfolgreiche Hackerangriffe zumeist auf einem menschlichen Fehler beruhen. Trotzdem gibt es Absprachen untereinander, um sich im Ernstfall gegenseitig zu unterstützen. Wir selbst haben viel dazugelernt, insbesondere wie man schnell die Strukturen wieder aufbauen kann. Dieses Wissen geben wir an Mitbewerber weiter, weil ich der Meinung bin, dass es sich hierbei um kein Hoheitswissen handelt.