"Bei uns hat jeder seinen Platz"

Sägen, Schrauben, Hämmern in der Holzwerkstatt der Lebenshilfe Wetzlar-Weilburg.  Foto: Lebenshilfe Wetzlar-Weilburg

Die Holzwerkstatt der Lebenshilfe Wetzlar-Weilburg war der erste Betrieb, der sich in der ehemaligen Sixt-von-Armin-Kaserne im Westend angesiedelt hat. Über 100 Mitarbeiter...

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WETZLAR. Wenn Florian Kaiser morgens zur Arbeit kommt, hängt er seine Tasche in den Schrank, bespricht den Arbeitstag mit dem Schreinermeister, holt Gehörschutz und Druckluftnagler. Der 40-Jährige ist für die Herstellung von Paletten zuständig - in der Holzwerkstatt der Lebenshilfe Wetzlar-Weilburg im Westend.

"Die Holzwerkstatt war vor 21 Jahren der erste Betrieb, der sich in der ehemaligen Sixt-von-Armin-Kaserne angesiedelt hat", erinnert sich Werkstattleiter Thomas Kleist. Er selbst ist im Westend von Anfang an dabei: Bereits 1994 hatte Kleist die Idee, in der ehemaligen Panzerinstandsetzungshalle A 15 eine neue Werkstatt für Menschen mit Behinderung einzurichten. Damals gab es Platzprobleme in den bereits bestehenden Werkstätten mit Schreinerei der Lebenshilfe, das Westend schien vom Platzangebot und von der Lage her ideal.

Nach Verhandlungen, die sich über zwei Jahre hinzogen, wurde 1998 die Werkstatt im Westend in Betrieb genommen. Vier Millionen Mark wurden damals investiert - finanziert von der Lebenshilfe und durch öffentliche Mittel.

Heute arbeiten 105 Frauen und Männer aus dem südlichen Lahn-Dill-Kreis und dem ehemaligen Oberlahnkreis in der Werkstatt "Am Schmittenberg". Angeleitet von 20 Mitarbeitern - Schreinermeister, Gesellen, Ergo- und Arbeitstherapeuten sowie Heilerziehungspflegern - stellen die Menschen mit Behinderung Hochwertiges aus Holz her. 750 Kubikmeter Eichen-, Fichten-, Tannen-, Kiefern- und Kampala-Holz im Jahr werden zu Produkten für Privatkunden, öffentliche Arbeitgeber und die mittelhessische Industrie verarbeitet. Von Anfang an habe man sich von anderen Werkstätten unterschieden, habe auch langzeitzeitarbeitslose Schwerbehinderte in den Arbeitsprozess integriert, sich gleichzeitig möglichst nah am ersten Arbeitsmarkt orientiert.

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"Bei uns arbeiten Menschen mit unterschiedlicher Begabung und jeder hat seinen Platz in den verschiedenen Arbeitsgebieten." Man sei gut aufgestellt, bestens ausgestattet und arbeite erfolgreich: "Wir haben mehr Aufträge, als wir abarbeiten können."

Gesägt, geschraubt und gehämmert wird in einem speziellen, an die Bedürfnisse der Mitarbeiter angepassten Rhythmus - das heißt, die Produkte werden mit größerem Vorrat hergestellt, um mehr Vorlaufzeit zu haben.

Jede Menge zu tun hat heute Florian Kaiser. Er schneidet gerade Bretter zu, ein Muster zeigt ihm, welche Größe die Bretter für die Paletten haben sollen. "In vier Tagen haben wir mal 148 Paletten gebaut, puh, da war ganz schön was los", sagt der 40-Jährige ziemlich stolz. Peter Lommel aus Braunfels schaut ihm über die Schulter, er fegt die Spähne in der Werkstatt zusammen.

Insgesamt 13 Mitarbeiter mit Behinderung sind in der Paletten-Montage-Gruppe tätig. "Sie fertigen von einfachen Paletten bis hin zu komplexen Verpackungssystemen für mittelhessische Maschinenbauer", berichtet der Chef. Die Holzwerkstatt sei sogar Vorreiter und 2003 einer der ersten hessischen Hersteller gewesen, die vom Pflanzenschutzdienst Hessen nach dem Standard "ISPM Nr. 15" zugelassen gewesen sei. "Das war der Bringer, unsere Werkstatt hatte das Know-how, das sich andere erst erwerben mussten."

Auch der zweite Bereich, die Herstellung von Holztischen- und Bänken, boome. "Bänke aus der Holzwerkstatt finden sich inzwischen in ganz Deutschland und im europäischen Ausland wieder." Jüngstes Projekt: 2019 stellten die Mitarbeiter Holzbänke für eine Parkanlage an der Loreley her - in Kooperation mit der Firma Rinn aus Heuchelheim, die ohnehin ein wichtiger Partner der Holzwerkstatt sei.

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Produkte zur Gestaltung von Spielplätzen stellen Kleists Mitarbeiter ebenfalls her. Mindestens zwei Spielplätze pro Jahr statten die Holzexperten aus dem Westend aus. Wer sich ein Bild davon machen will, dem sei ein Besuch des höchst beliebten Spielplatzes neben dem Nachbarschaftszentrum im Westend empfohlen. Diesen habe man vor 15 Jahren geplant und gestaltet.

Mittagspause. Die Mitarbeiter gehen nach nebenan in die Werkstatt-Kantine. Es gibt Gulaschsuppe.

"Energetisch sind wir absolut autark. Wir machen alles selbst, heizen mit unseren Holzabfällen, erzeugen Strom über eine F otovoltaikanlage", sagt Kleist beim Gang über den Hof.

Zehn seiner Mitarbeiter sind außerhalb der Werkstatt beschäftigt, arbeiten beim Globus Handelshof in Dutenhofen, bei der Firma Rinn, im Naturschutzzentrum Wetzlar, in der Schlosserei Mohr in Solms, als Hausmeisterhelfer in Einrichtungen der Lebenshilfe, in einem Kindergarten in Brandoberndorf oder auf einem Bauernhof in Waldgirmes. Sechs weitere sind im Bistro der Lebenshilfe am Wetzlarer Eisenmarkt, das seit drei Jahren als Außenstelle zur Holzwerkstatt gehört, beschäftigt. "Bei uns wird Teilhabe am Arbeitsleben, aber auch am Leben in der Gemeinschaft jeden Tag neu gelebt. Und darauf sind wir ziemlich stolz", erklärt Kleist.