Die schlechte Digitalisierung der Verwaltung in der VG Rhein-Selz soll sich bald ändern. Und auch weitere Probleme will Martin Groth nach den ersten 100 Tagen im Amt angehen.
VG RHEIN-SELZ. Seit 1. Juli ist Martin Groth (FWG) neuer Bürgermeister der Verbandsgemeinde Rhein-Selz. Wir sprachen mit ihm über die ersten 100 Tage im Amt und kommende Herausforderungen.
Herr Groth, Hand aufs Herz. Hätten Sie sich das Amt des Bürgermeisters so anstrengend vorgestellt? Dass eine Behörde vollkommen anders arbeitet als ein Unternehmen der freien Wirtschaft, war mir klar. Von daher war ich nicht sonderlich überrascht über einige Verwaltungsprozesse, die nicht sehr effizient ablaufen. Wobei die Gründe hierfür vielfältig sind und teilweise den gesetzlichen Vorgaben geschuldet sind. Das Bürgermeisteramt ist weiterhin eine Traumaufgabe für mich. Die Themen sind vielfältig, und ich kann gestalten. Das ist sehr erfüllend, gleichwohl 16- bis 18-Stunden-Tage durch die diversen Sitzungen keine Ausnahme bilden und in der Tat anstrengend sein können.
Was war besonders schön, was nicht so schön? Die Mitarbeiter der Verwaltung haben mich positiv, nett und offen empfangen. Das hat mich persönlich enorm gefreut. Sie nehmen das Angebot von persönlichen Gesprächen gerne an, wenn sie etwas auf dem Herzen haben. Ein großes Hemmnis bei der täglichen Arbeit ist der schwache Grad der Digitalisierung der Verwaltung. Er lässt sehr zu wünschen übrig, dadurch wird viel Zeit vergeudet für überflüssige Arbeiten. Die E-Akte muss definitiv 2023 umgesetzt werden. Überrascht hat mich die sehr unterschiedliche Debattenkultur in den einzelnen Gemeinderäten. Und Feuerwehreinsätze, bei denen ich zugegen war, nahmen mich doch sehr mit – das Haus einer jungen Familie in Wintersheim beispielsweise sackte ab und wurde unbewohnbar. Das hat mich umgetrieben.
Was wäre ein Beispiel für die Digitalisierung der Verwaltung? Es ist ungünstig, wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin Papierakten mit ins Homeoffice nimmt und sie vorher umständlich und zeitraubend zusammensuchen muss. Lägen alle Daten digital in der E-Akte vor, würde viel Arbeitszeit gespart. Einige Abläufe sind nicht standardisiert, und es fehlt an kleinen Lösungen digitaler Art. So müssen sich Eltern immer noch mittels Papierformular um Kita-Plätze bewerben. Auch für die Kita-Leitungen bedeutet die fehlende Digitalisierung hier einen Wust an Papier und mehr Arbeitsaufwand. Wir müssen jetzt neue Technologien und optimierte Abläufe etablieren, um gerüstet zu sein, wenn uns in fünf oder sechs Jahren 30 bis 40 Prozent unserer Mitarbeiter aus Altersgründen verlassen. Diese Stellen werden wir nicht alle wieder besetzen können.
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Der Fachkräftemangel trifft ja auch die VG Rhein-Selz. Wie ist der Status quo, wie wollen Sie Abhilfe schaffen? Im Bauamt gibt es so große personelle Lücken, dass wir priorisieren müssen und dass die telefonische Erreichbarkeit bedauerlicherweise leidet. Aber wir haben über die sozialen Medien verstärkt nach Personal gesucht und weitere Maßnahmen ergriffen. Ich gehe davon aus, dass mit Ende des ersten Quartals 2023 deutliche Verbesserungen eintreten. Für uns als Arbeitgeber spricht, dass die Stellen bei uns in der Verwaltung sicher sind, dass wir flexible Modelle mit Teilzeit oder Homeoffice anbieten können. Und als Mitarbeiter, als Mitarbeiterin der Verbandsgemeinde kann ich meine Heimat mitgestalten – das ist doch eine tolle Sache.
Belastend ist bekanntlich der hohe Krankenstand, sind lange Ausfallzeiten der Mitarbeiter. Wie wollen Sie gegensteuern? Den Krankenstand sehe ich mit Sorge. Wir arbeiten mit einem externen Dienstleister im Gesundheitsmanagement und die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz werden aktuell anonym erhoben. Wir haben eine sensationelle Antwortquote. Ich schätze, um die 80 Prozent der Mitarbeiter werden den Online-Fragebogen ausfüllen. Danach entwickeln wir Vorschläge, wie Verbesserungen erzielt, die Belastungen reduziert werden können. Und in einem Jahr muss wieder evaluiert werden, um zu schauen, ob die Maßnahmen wirken.
Wie ist die finanzielle Lage der VG vor dem Hintergrund der Energie- und Wirtschaftskrise? Sie ist sehr angespannt. Allzumal wir ein Investitionsdefizit aus den letzten Jahren vor uns her schieben, Stichwort Verwaltungsneubau, Grundschulen und Feuerwehren. Wir verzeichnen höhere Kosten bei Bauprojekten wegen fehlender Materialien oder gestörter Lieferketten. Ein Beispiel: Für neue Feuerwehrfahrzeuge und deren Ausstattung waren im Etat 300.000 Euro pro Fahrzeug eingeplant, am Ende wurden es über 450.000, weil die Hersteller Risikozuschläge einkalkulieren mussten. Sollte bei den anstehenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst eine Lohnerhöhung für die Beschäftigten herauskommen, was wegen der hohen Inflation zu erwarten steht, würden unsere Personalkosten entsprechend steigen. Und: Allein für die geforderte Optimierung all unserer Heizungsanlagen und den hydraulischen Abgleich fallen Kosten im siebenstelligen Bereich an.
Vom Rhein-Selz-Park und dem geplanten Rechenzentrum hat man lange nichts gehört. Dort würden doch notwendige Steuereinnahmen generiert. Wir sind dort auf einem sehr guten Weg, das Projekt beansprucht einiges meiner Arbeitszeit. Ich möchte nicht mehr dazu bekannt geben, nur so viel: Es wird intensiv an einer gemeinsamen Lösung gearbeitet, und es könnte hier bald eine positive Entwicklung geben.
Wie wollen Sie die Bevölkerung informieren, sollte es zu einer Gasmangellage oder einem Stromausfall kommen? Von einer Gasmangellage gehe ich derzeit nicht aus. Ein möglicher Blackout macht mir mehr Sorgen. Wir haben einen Verwaltungsstab, der ausarbeitet, wie die Bürger im Fall eines Falles informiert werden könnten, wie eine Notbetreuung für Kinder oder eine Auszahlung von Bargeld ermöglicht werden könnte. Die Kommunikation im Krisenfall muss funktionieren. Allerdings muss jeder Bürger auch selbst vorsorgen, etwa Ersatzsicherungen kaufen oder ausreichend Lebensmittel und Wasser.