Es ging los mit der Tagesordnung und endete bei einem Grundstücksgeschäft – der Rest war Streit. Oppenheims Stadtrat gab bei seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause,...
OPPENHEIM. Es ging los mit der Tagesordnung und endete bei einem Grundstücksgeschäft – der Rest war Streit. Oppenheims Stadtrat gab bei seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause, zugleich der ersten seit Beginn der Untreue-Ermittlungen gegen Stadtbürgermeister Marcus Held (SPD), ein zutiefst zerrissenes Bild ab. Drei Stunden wurde im Meriansaal erbittert gestritten. Die AL-Opposition ritt scharfe Attacken gegen Held, Stadtspitze und SPD, die konterten nicht minder hart, die CDU versuchte sich dazwischen zu positionieren.
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Dass sich die Stadtspitze von der SPD-Ratsmehrheit bevollmächtigen ließ, im Bedarfsfall eigene Rechtsgutachten zum Bericht des Landesrechnungshofes einzukaufen, erregte die Gemüter. AL-Fraktionschef Raimund Darmstadt wollte das Thema öffentlich diskutieren. Held konterte, die Gemeindeordnung sehe bei Rechtssachen Nichtöffentlichkeit vor. Der AL-Antrag wurde bei CDU-Enthaltung abgeschmettert, der Beschluss zur Sache dann mehrheitlich hinter verschlossenen Türen getroffen.
AL-Fraktion geht vor die Tür, übrige Stadträte plaudern
Doch das war nur der Auftakt. Als der Rat die Auftragsvergabe für den weiteren Ausbau der Wormser Straße beschloss (siehe links), setzte Darmstadt zu einer Rede über die Ermittlungen gegen Held („Ich hätte von ihm eine persönliche Erklärung erwartet“) an. Nachdem der Bürgermeister ihn aufgefordert hatte, bei der Sache zu bleiben und Darmstadt zur Ordnung rief, erwirkte der AL-Chef eine Sitzungspause, zog mit seiner Fraktion vor den Ratssaal und verlas dort sein Papier. Eine wahrhaft skurrile Szene. In der Tür stehend, dozierte Darmstadt – auch für die Gäste gut hörbar –, man werde „seit Jahren falsch oder gar nicht über zahlreiche Verwaltungshandlungen informiert oder die Stadträte gänzlich in die Irre geführt“, beklagte fehlendes Vertrauen. Drinnen plauderten die übrigen Stadträte, bedachten die AL mit demonstrativer Missachtung, während Held von „Kindergarten und Kasperletheater“ sprach.
Verlief die Debatte über den Gradinger-Abriss (siehe unten) noch halbwegs gesittet, wurde es beim Thema Tourismus GmbH hemdsärmelig. Die Anfang 2013 eingerichtete Gesellschaft, an der die Stadt 49 Prozent hält und die das Kellerlabyrinth vermarktet, hätte dem Stadtrat jährlich Bericht erstatten müssen. Der zuständige Zweite Beigeordnete Helmut Krethe (parteilos) entschuldigte sich für das „formelle Versäumnis“, verteilte die Rapporte von 2014 bis 2016 und betonte: „Weder Stadt noch GmbH sind Schäden entstanden.“
Dann aber beantragte die SPD (letztlich mit Erfolg) einen Bericht für das Jahr 2013 – und zwar vom damals noch zuständigen Beigeordneten Raimund Darmstadt. Nun brachen alle Dämme: Der AL-Chef verwies auf die Verantwortlichkeit von Held und dem GmbH-Geschäftsführer, dem Ersten Beigeordneten Hansjürgen Bodderas (SPD). Zugleich vermisste er einen Nutzungs- oder Pachtvertrag für den Untergrund – den es in der Tat nicht gibt. Bodderas erläuterte daraufhin wortreich die GmbH-Aktivitäten, von denen die Stadt profitiere, Krethe erinnerte daran, die Gesellschaft sei einst einstimmig beschlossen worden. „Hier wird plötzlich Unruhe gestiftet“, klagte Held. „Jetzt zu behaupten, die GmbH-Anteilseigner machten sich die Taschen voll, ist eine Unverschämtheit.“
Doch damit nicht genug. SPD-Mann Marc Sittig warf Darmstadt „Demokratiebeschädigung erster Güte“ vor und meinte, dessen Nicht-Erinnern an seine Verantwortlichkeit sei „an Peinlichkeit nicht zu überbieten“. „So habe ich mich nie gehen lassen“, hielt Darmstadt dagegen. Dem Dritten Beigeordneten Hans-Willi-Mohr (SPD) war das Gezacker derart zuwider, dass er in emotionalen Worten und den Tränen nah an die Stadträte appellierte: „Vielleicht sollten wir uns ein bisschen auf Oppenheim besinnen.“ Auch CDU-Fraktionschef Marco Becker sah die wüsten Wortgefechte kritisch: „Ich habe das Gefühl, dass weite Teile Oppenheims von Misstrauen ergriffen sind. Wir müssen daran arbeiten, dass wir nicht Teile der Bevölkerung verlieren.“
Lange wirkten die Aufrufe zur Mäßigung jedoch nicht: Weiter ging es, als die Stadtspitze bekannt gab, man habe ein Grundstück in der Calpestraße für 162 880 Euro zurückgekauft, nachdem der Eigentümer verstorben sei. Held rechnete beim Verkauf mit 20 bis 30 Prozent Gewinn: „Wir haben keine Bauplätze und das ist ein Filetstück.“ Die AL störte hingegen, dass das Ganze am 17. Juli per Eilentscheid ohne Ratssitzung über die Bühne ging. „Wir akzeptieren das nicht“, sagte Darmstadt, „Ich weiß nicht, ob das System ist oder schlechte Gewohnheit.“ CDU-Mann Becker ließ durchblicken, er hätte auch lieber den Stadtrat beschließen lassen, hielt der AL aber zugleich vor: „Das passt zum jetzigen Klima.“ Er hätte auch sagen können: Reizklima.
Von Ulrich Gerecke