Abschied und Neuanfang. In Corona-Zeiten übergibt Winfried Kraus die Leitung des Altenzentrums an Inge Raaz. Wie sie die Menschen gleich zwei Mal kennenlernt.
OPPENHEIM. Ein Lichtschwert wählten Winfried Kraus und Inge Raaz zum symbolischen Stabwechsel der Heimleitung im Altenzentrum Oppenheim. Erleuchtung und Licht am Ende des Tunnels wird Inge Raaz, die Neue, brauchen. Die vier Monate einer geordneten Amtsübergabe waren beherrscht von Corona, der Sorge um rund 150 Heimbewohner und 180 Mitarbeiter, den bangen Fragen der Angehörigen, dem Umsetzen und Anpassen immer neuer Regeln und Hygienemaßnahmen. Das Ende und damit der Weg in die Normalität sind nicht abzusehen.
Eine Ausnahmesituation in der 18-jährigen Heimleitertätigkeit von Winfried Kraus, den – mit Humor gesegnet – so leicht nichts aus der Ruhe bringt. Während seiner Dienstzeit in Oppenheim hat es große Veränderungen in der Altenpflege gegeben. „Eine Einrichtung für rüstige Bewohner mit langjähriger Verweildauer ist, abgesehen vom Bereich des betreuten Wohnens, zu einem Heim mit ganzheitlicher und aktivierender Pflege geworden. Das Durchschnittsalter beträgt aktuell 86 Jahre. Heute sind die Bewohner gebrechlich, aber internetaffin. Ein Segen, während des Besuchsverbots der Angehörigen“, erläutert Kraus.
Die Digitalisierung erlebt er in der alltäglichen Arbeit als Gewinn. „Die Vorgaben der Dokumentation sind umfangreich, aber zeitsparender und effektiver zu erledigen. Das gibt mehr Zeit für Betreuung“, stellt Kraus fest. In seine Dienstzeit fällt zwischen 2012 und 2015 die umfangreiche Sanierung des Hauses in Trägerschaft der Stiftung Zivilhospital. Deren Geschäftsführer Jürgen Golzenleuchter hatte am Vorabend zur offiziellen Verabschiedung und Amtseinführung geladen, coronabedingt, vollzog sich auch noch am nächsten Tag der Abschied grüppchenweise: Die Pflegeclowns Fräulein Rosine und Violetta Grünbauch gaben ein Ständchen, die Ehrenamtlichen sagten „Adieu“, Bürgermeister Walter Jertz, Kraft seines Amtes Vorsitzender der Verwaltungskommission, sowie Beigeordnete Ulrike Franz reihten sich erneut in die Runde derer, die Kraus in den Ruhestand verabschiedeten. Der freut sich nun auf die Betreuung der zahlreichen Enkelkinder und will erneut für den Vorsitz der Hospizarbeit im Ehrenamt kandidieren.
Die 53-jährige Heimleiterin Inge Raaz sieht ihre vordringliche Aufgabe darin, der Corona-Entwicklung Rechnung zu tragen. „Es wird einen Neustart mit Corona geben, der mit Mitarbeitern und Bewohnern gemeinsam zu gestalten ist“, sagt sie. Es werde darum gehen, Gemeinschaft sinnführend einzuleiten, zu experimentieren und neue Regeln im Einklang und Verständnis mit Pflege, Heimbeirat, Sozialbetreuung und Angehörigen zu finden.
Außergewöhnliche Bedingungen für Inge Raaz
Die neue Heimleiterin hat einen medizinischen Grundberuf, mit Kindern, Erwachsenen und im Hospiz gearbeitet sowie Erfahrungen in der Beratungs- und Prüfbehörde im Altenpflegewesen gesammelt. So gerüstet betritt sie nun Neuland. Die Startbedingungen waren außergewöhnlich. „Ich bin frei und locker“, sagt sie von sich: „Aber in Kontakt treten mit neuen Menschen, Kollegen, Bewohnern und deren Angehörigen unter Mund-Nasen-Schutz-Umständen ist fremd und schwierig. Viele habe ich zweimal kennengelernt: mit Maske und – im Freien auf Abstand – ohne.“ Den ganz normal aufregenden und abwechslungsreichen Alltag am Jakob-Steffan-Platz hat sie nicht stückweise erfahren dürfen. „Der kam on top, neben den immer neuen Anforderungen auf veränderte Maßnahmen zu reagieren, sie anzupassen, Telefonate mit besorgten Angehörigen zu führen und eine Ausnahmesituation zu bewältigen. Ihre Pläne, die betagten Bewohner zur Dokumentation ihrer (Kindheits-)Biografien zu motivieren und miteinander auszutauschen, darüber ins Gespräch zu kommen, sind noch Zukunftsmusik, werden aber nicht aufgegeben.