Kann das denn gut gehen? Der Oberschüler Bert, der Anfang der fünfziger Jahre der Katholischen Jungen Gemeinde in seinem Heimatort in Sachsen-Anhalt angehörte, kommt ins...
NACKENHEIM. Kann das denn gut gehen? Der Oberschüler Bert, der Anfang der fünfziger Jahre der Katholischen Jungen Gemeinde in seinem Heimatort in Sachsen-Anhalt angehörte, kommt ins Zweifeln. Ins Zweifeln darüber, ob er gleichzeitig dem neuen Staat DDR und seinem Gott dienen kann. Er kann, er schafft es. Obwohl sein Lehrer in der Schule davon gesprochen hat, dass die Religion laut Karl Marx nur „Opium fürs Volk“ sei. Der ostdeutsche Staat, er ist noch am Entstehen, ebenso wie der „Neue Mensch“, der sich beim Aufbau des Sozialismus und Kampf gegen den westlichen Imperialismus/Faschismus verdient machen kann.
Inspiration von Kirche und Kommunismus
In Berts Brust wohnen zwei Seelen. Er denkt sich zwei Kammern in seiner „Kopf-Hütte“, eine den Kommunisten, eine der Kirche. Es gelingt ihm, sich in beiden Zimmern heimisch zu fühlen, sich von beiden Inspiration zu holen. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bildet den Hintergrund von Hubertus Deicks autobiografischer Erzählung „Zwischen Kreuz und Roter Fahne“, die am 12. Dezember im Roland Reischl Verlag Köln erscheint. Deick ist 82 Jahre alt, lebt seit 2002 in Nackenheim und hat bereits zwei Bücher („Aus der Depression ins Leben“ und „Am Ende des Krieges“) herausgebracht. Im Ruhestand entdeckte er das Schreiben als Hobby.
Wie er Berts Jugend, seine geistige Entwicklung unter Katholiken und Kommunisten schildert, das ist tiefgründig und nicht nur für Nicht-Zeitzeugen sehr aufschlussreich. Der Autor geht das Thema differenziert an und lässt den Leser an Erlebnissen teilhaben, die auch von der Spannung zwischen Privatem und Politik leben. Bert verbringt trotz Flucht und frühem Verlust der Eltern eine größtenteils unbeschwerte Kindheit. Deick erzählt von den Reclamheftchen für drei Groschen, die sich der Protagonist kauft, von dessen Begeisterung für Karl Mays „Winnetou“, von seiner Vorfreude auf den ersten Dienst als katholischer Messdiener, von der Wallfahrt zur Linde im Dorf.
Weltjugendfest und Katholikentag in Berlin
In der kirchlichen Gemeinschaft spürt er Geborgenheit, und sie verläuft ungestört, so lange die Partei nicht verunglimpft wird. Zuhause fühlt er sich auch unter seinen Freunden und Nachbarn, viele von ihnen ebenfalls Flüchtlinge aus dem Osten. Am Ende des Bändchens freilich sind einige ehemalige Flüchtlinge schon wieder auf dem Sprung, wollen „’rüber machen“ in den Westen, um Gängelung, Kontrolle, planwirtschaftlichen Vorgaben zu entkommen.
Die Lehrer im Gymnasium, das Bert dank Stipendium besuchen kann, fordern und fördern ihn und seine Klassenkameraden, vermitteln umfassende Bildung. Und wecken seinen sportlichen Ehrgeiz. Ein – so würde man es heute nennen – „Highlight“ von Berts Jugend sind 1951 die Weltjugendfestspiele in Ost-Berlin. Auch der Katholikentag 1952 in Berlin ist ein besonderes Erlebnis für ihn, dem die Spiritualität, die „geistige Verbindung zur Unendlichkeit“ wichtig ist. Bei den Jungen Pionieren und der FDJ, der DDR-Jugendorganisation, mischt er ebenfalls mit. Zusehends reift er, wird selbstsicherer und bricht am Ende auf zu neuen Ufern – zum Studium nach Dresden.
Wie sein Protagonist Bert, der elternlose Flüchtlingsjunge, besuchte auch Deick in Halberstadt/Sachsen-Anhalt das Gymnasium „Martineum“. Er studierte nach dem Abitur an der Technischen Universität Dresden, später in Darmstadt Bauingenieurwesen und war 40 Jahre in der freien Wirtschaft tätig. Ein großes Anliegen ist es ihm, die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die Jahre der deutschen Teilung, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Hubertus Deick: Zwischen Kreuz und Roter Fahne. ISBN: 978-3943580235. Verlag Roland Reischl Köln. 17,80 Euro, 228 Seiten. Erhältlich in der Buchhandlung Ruthmann Bodenheim und direkt beim Verlag: www.rr-koeln.de.