Am Sonntag, 6. Mai, geht es los: Der Ingelheimer Stefan Spangenberg läuft nach Jerusalem, wandelt auf Jesus Spuren und denen seines Apostels Paulus. Auf dem Weg sucht der...
INGELHEIM. Übers Wasser geht er nicht. Und dennoch wandelt er auf den Spuren von Jesus und dem Apostel Paulus. Vor Stefan Spangenberg liegen 5278 Kilometer. Die Strecke von Ingelheim nach Jerusalem. Spangenberg wird sie laufen. In vier Wochen geht es los, ein Dreivierteljahr wird er unterwegs sein. Die Idee kommt vor fünf Jahren. Spangenberg ist mit der katholischen Kirchengemeinde St. Remigius nach Israel gefahren, als sich der Gedanke festsetzt. Er will zu Fuß nach Jerusalem laufen. Gerade hat er ein Buch gelesen, in dem eine Gruppe Österreicher genau davon erzählt. Die Geschichte elektrisiert Spangenberg. Noch in Israel verkündet er: „Ich laufe nach Jerusalem!“ Irgendwann eben.
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Jetzt, fünf Jahre später, ist es so weit. Seit Dezember ist der 59-jährige in Rente, der Zeitpunkt passt. Am 6. Mai startet Spangenberg vor seinem Haus in der Mainzer Straße Richtung Israel. Seit Monaten, ach was, seit Jahren bereitet er sich auf diesen Moment vor. Der erste Schritt? „Türkisch“, seit vier Jahren lernt Spangenberg die Sprache an der Mainzer Universität und in Volkshochschulkursen. Denn: Er will nicht einfach nach Jerusalem laufen. Er sucht den interkulturellen Dialog. Der Ingelheimer will Länder entdecken, fremde Menschen und Kulturen kennenlernen und ja, wohl auch ein Stückchen zu sich selbst und seinem Glauben finden. Und zu seinem Sohn. Martin ist 32 als er die Diagnose bekommt: Multiple Sklerose. Kaum erkannt, setzten zwei heftige Schübe dem jungen Mann derart zu, dass sich sein Leben für immer verändert. Plötzlich ist das Gedächtnis weg. „Er wusste nicht mal mehr, was eine Tomate ist“, erinnert sich der Papa. Der rheinland-pfälzische Landesverband der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) ist in dieser schweren Zeit eine große Stütze – und darum gibt Spangenberg jetzt etwas zurück. Er läuft für den Verein, wirbt für dessen Arbeit. Wenn das jemanden zum Spenden animiert? Umso besser. Spangenberg notiert alle Spender auf seinem Blog, zwei stehen schon da: er und seine Lebensgefährtin Iris. Martin, heute 36 Jahre alt, geht es übrigens wieder etwas besser. Er lebt in Mainz. Und sein Vater bald für eine lange, lange Zeit auf der Strecke.
Die steht inzwischen. 4518 Kilometer legt Spangenberg tatsächlich per pedes zurück. Wo er nicht weiterkommt, übernehmen Fähren und Flieger. Der 59-Jährige hat den Weg bewusst so gewählt, dass er an bedeutenden Orten vorbeikommt. Der Via Egnatia etwa oder der Mönchsrepublik auf dem heiligen Berg Athos. Die besten Wege hat Spangenberg in Gesprächen mit Experten herausgefunden. Mit denen nämlich, die vor ihm nach Jerusalem gelaufen sind. Der wertvollste Tipp: „In der Türkei werde ich nicht am Mittelmeer entlang laufen, die Straße ist zu felsig und gefährlich“, stattdessen läuft Spangenberg durchs Landesinnere. Zwischen 20 und 30 Kilometer will er jeden Tag schaffen, sechs Tage die Woche. Am siebten will Spangenberg ruhen. Also Wäsche waschen, bloggen, sich erholen. Entweder im Zelt, unter freiem Himmel, in Gästehäusern, Kirchen oder bei Familien, die er auf der Strecke trifft. „Die ersten Quartiere will ich mir auf dem Weg nach Straßburg schon mal suchen, danach schauen wir mal.“ Ein straffes Programm, aber Spangenberg geht nicht unvorbereitet an den Start. Er absolviert gerade drei Trainingseinheiten pro Woche, läuft bis zu 50 Kilometer. Dazu Massagen, Arztbesuche. Und, man ahnt es: Spangenberg ist Ultramarathonläufer.
Runder Geburtstag zwischen Griechenland und der Türkei
Feste Ziele oder Stationen gibt es kaum auf der Strecke, auch keinen fixen Endpunkt. Spangenberg rechnet mit einem Dreivierteljahr, aber die Pilgerreise dauert so lange, wie sie eben dauert. Spirituelle Einkehr passt ja auch schlecht in einen Terminplan. Ende Juni trifft sich Spangenberg in Florenz mit Lebensgefährtin Iris, läuft mit ihr nach Rom, von wo aus sie Ende Juli wieder nach Hause fliegt. Und im November, irgendwo zwischen Griechenland und der Türkei, wird Spangenberg 60. Wie Iris zu dem Abenteuer steht? „Sie hat mich damit kennengelernt. Und ich bin ja auch nicht leichtsinnig.“ Spangenberg hat sich auf der Elefand-Liste für die Erfassung Deutscher im Ausland eingetragen, nimmt außerdem – neben ausreichend Wasser und den Fotos von Iris und Sohn Martin – zwei Handys samt Solarpanels zum Laden mit, Antibiotika, ein Erste-Hilfe-Set und nicht zu viel Bargeld. Ganz ohne Geld unterwegs zu sein, kommt für Spangenberg nicht infrage. Betteln möchte er nicht. Dass er sich auf der Strecke verletzten oder überfallen werden könnte, ist ihm bewusst. Aber: „Ich hoffe auf das Gute im Menschen. Ich will das machen, aber nicht zu jedem Preis.“ Wenn der psychische oder körperliche Schaden hinterher größer wäre als vor dem Start, dann bricht Spangenberg das Abenteuer ab. Dazu ist er vernünftig genug, muss sich nichts mehr beweisen.
Inzwischen ist das Visum für den heiligen Berg Athos im Oktober beantragt. Die wichtigsten Impfungen sind gespritzt. Der Untermieter für die Wohnung in Ingelheim ist gefunden. Jetzt lernt Spangenberg laufen. Kann er natürlich schon, so normal. Aber auf seinem Weg nach Jerusalem hat er einen Monowalker umgeschnallt. Und ehrlich gesagt wackelt der noch ganz schön hinter dem Ingelheimer her. Der Wendekreis ist riesig, da muss man sich erst mal dran gewöhnen. „Das ist aber besser als ein Rucksack, weil sich das Gewicht besser verteilt“, bei gut 30 Kilo Gepäck ein gutes Argument. Der Monowalker fällt auf. Kaum zieht Spangenberg für den Fototermin mit der AZ auf dem Sebastian-Münster-Platz seine Runden, wird er auch schon neugierig von Passanten beäugt. „Die Reaktionen sind immer positiv, egal, wem ich von meinem Plan erzähle.“ Manchmal beschleicht Spangenberg das Gefühl, dass die Menschen in ihm ihr Fernweh verwirklichen. „Zu Fuß nach Jerusalem? Das ist ja schon etwas verrückt.“ Stimmt. Aber auch unglaublich aufregend.