(jul). Ben Sagi findet deutliche Worte. Schnörkellos, schonungslos erzählt der 17-Jährige von einem Besuch in der Tötungsanstalt Hadamar. Spricht von industriell...
INGELHEIM. (jul). Ben Sagi findet deutliche Worte. Schnörkellos, schonungslos erzählt der 17-Jährige von einem Besuch in der Tötungsanstalt Hadamar. Spricht von industriell organisiertem Mord, von Unverständnis, Trauer, vor allem von Wut. Ben Sagi ist Teilnehmer des Austauschprogramms der Rotweinstadt mit dem israelischen Afula. Vor 17 Jahren wurde er in Israel geboren, heute lebt er in Ingelheim. Spricht vor der Gruppe, die sich zum Gedenken an die Opfer der Pogromnacht vor dem Mahnmal auf dem Synagogenplatz versammelt hat. Und die zollt dem jungen Mann Respekt, applaudiert nach seiner kurzen Rede.
Diese deutlichen Worte, diese Worte, die schockieren und aufrütteln sollen, die findet auch Oberbürgermeister Ralf Claus. Von einem wütenden Mob spricht er, der in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 auch in Ingelheim wütete. „Viele schauten zu, viele schauten weg. In dieser Nacht ging die böse Saat auf.“ Damit sie in Ingelheim nie wieder keimt, will Claus für ein alltägliches, friedliches Miteinander eintreten. Gerade in einer Zeit, in der politische Diskussionen wieder deutlich vom Vokabular des NS-Regimes geprägt sei. „In einer Zeit, in der bei vielen die Hemmungen fallen, im sicheren Denken, sich einer vorherrschenden Meinung anzuschließen.“ Sich einsetzen, nicht wegschauen – das sei man den Opfern von damals schuldig, appelliert Claus. „Deren Stimmen sind nicht vergessen, sie mahnen uns mehr denn je.“
Eine dieser Stimmen gehörte Walter Neumann. Ein Ingelheimer, an dessen Schicksal Klaus Dürsch, Vorsitzender des deutsch-israelischen Freundeskreises, erinnert vor dem von Kerzenschein beleuchteten Mahnmal. Dort eben, wo früher die Synagoge stand. Neumann jedenfalls konnte fliehen. 1933 im April lebte er als politischer Flüchtling in Paris. Ein leichtes Leben hatte er dennoch nicht. Dürsch spricht von Kriegen, Lagern, der Roten Armee. Aber Neumann hat überlebt. „Nur wenige erkannten damals die Gefahr. 1933, da war es in Ingelheim schon zu spät für den Widerstand.“ Das könne man sich nur schwer vorstellen, „hier in Ingelheim, vor unserer Haustür“ – auch Christian Feuerstein, Pfarrer aller Ingelheimer Katholiken, tut sich schwer. „Wir haben die Opfer von damals nicht gekannt, aber ihr Schicksaal treibt uns um.“ Feuerstein schließt darum all diejenigen in sein Gebet ein, die auch heute noch wegen ihrer Religion verfolgt werden. Die passenden Klänge zur Gedenkfeier lieferten die „Saxobeats“, das Saxophonensemble der Musikschule im Weiterbildungszentrum unter Leitung von Harry Braum.