Seit 2005 ist der Büdesheimer Nachtumzug eine Marke – ...

Archivfoto: TuSBüdesheim  Foto:

Wir befinden uns im Jahr 2003. Die Büdesheimer Fastnacht ist im Niedergang begriffen, vier Tage „volles Haus“ in der TuS-Turnhalle sind längst Vergangenheit. Sich damit...

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BINGEN. Wir befinden uns im Jahr 2003. Die Büdesheimer Fastnacht ist im Niedergang begriffen, vier Tage „volles Haus“ in der TuS-Turnhalle sind längst Vergangenheit. Sich damit abfinden? Nein! Also treffen sich die Mitglieder der Karnevalsabteilung des Vereins, um in Oberwesel in Klausur zu gehen. Ihre Lösung: Ein besonderer Fastnachtszug. Geboren war mit dieser Entscheidung ein Event, das seit dem Jahr 2005 Menschen aus der ganzen Region anzieht: der Biddesemmer Nachtumzug.

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Josef Decker (l.) und Patrick Schwank sind von Anfang an dabei. Mit ihren Teams haben sie die Erfolgsgeschichte in Büdesheim  geschrieben.Foto:  Jochen Werner  Foto:  Jochen Werner

Als Konkurrenz wollten die Büdesheimer nicht auftreten. Der Vorschlag kam am zweiten Augustwochenende in Oberwesel aus den Reihen der Klausurteilnehmer: „Ei mache mer des Ganze doch im Dunkele!“ Josef Decker (69) und Patrick Schwank (44) erinnern sich. Die beiden sind von Anfang an dabei, haben seither die Erfolgsgeschichte des Großereignisses maßgeblich zusammen mit ihren Teams bestimmt. Ihr Vorbild hieß Bockenau. Dorthin hatten sich Inge und Josef Decker, Patrick Schwank und Ursula Kerwer 2004 auf Spionagetour begeben, um sich den dortigen Nachtumzug anzuschauen. Immer im Hinterkopf: die eigene Straßenfastnacht zu beleben und das Leben zurück in die Halle zu bekommen. Von der Atmosphäre und der Resonanz in Bockenau waren die TuSler jedenfalls hellauf begeistert.

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Entsprechend war der Berichterstatter in dieser Zeitung begeistert, sprach bei 35 Zugnummern und etwa 4000 Zuschauern von großer Innovationsfreude des Büdesheimer Teams. „Ein wirklich voller Erfolg“ konstatierte Decker damals, zumal schon Wagen aus dem Rheingau und der gesamten Region dabei waren. „Ich hatte damals einfach einen Artikel nach Rüdesheim an die Zeitung geschickt“, sagt Decker, außerdem wurden beim Winzerfestumzug im Vorjahr schon Flyer verteilt. Gestartet war auch der erste Verkauf der heute so beliebten Pins.

Alle, die damals dabei waren, sind auch heute noch fester Bestandteil des Nachtumzuges. Der ist in Absprache mit dem Ordnungsamt auf 60 Zugnummern mit über 1500 Teilnehmern gedeckelt. Mehr geht in den Büdesheimer Gassen und angesichts der Wegstrecke einfach nicht. Positiv für die Veranstalter: „Wir sind in den vergangenen 13 Jahren gesund gewachsen, waren nie überfordert“, sagt Schwank und spricht gleichzeitig einen großen Einschnitt an: Nach der Duisburger Loveparade-Katastrophe im Jahr 2010 mit 21 Toten und weit über 500 Schwerverletzten wurden die Sicherheitsauflagen erhöht, wurde die Strecke angepasst und ein völlig neues Konzept erarbeitet. Allein, all das gelang in Abstimmung mit der Stadt, der Polizei, der Feuerwehr und den Hilfsorganisationen. „Reibungslos!“, bedanken sich Decker und Schwank unisono.

Mit Decker als Schreibtisch-Organisator und Schwank mit dem praktischen Teil und der technischen Seite klappte von Beginn an alles wie am Schnürchen. Decker wurde Zugmarschall, gab das Zepter nach dem elften Zug komplett an Schwank weiter. Frischen Wind und neue Ideen soll das neue Team bringen, um die Erfolgsgeschichte fortzuschreiben. „Eine Person allein schafft das alles nicht. Du brauchst ein Netzwerk und Leute, die in die Thematik hineingewachsen sind“, hat der Hauptverantwortliche gleich erkannt. Der TuS ist insgesamt mit 150 aktiven Helfern eingebunden, kann allein wegen dieser Zahl keine eigenen Gruppen mehr stellen. Froh ist man deshalb bei den Organisatoren, dass sich die DJK, die zu Anfang eine Mitorganisation abgelehnt hatte, in voller Stärke auf den Gassen einbringt.

Partywagen waren schon immer bewusster Bestandteil des Nachtumzugs, und natürlich wurde auf die besondere Stimmung und Lichteffekte gesetzt. Dazu kamen immer wieder außergewöhnliche Musikgruppen. Ein Musikzug aus Husum etwa, der einige Monate zuvor bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking dabei war. „Den konnten wir auf unser Niveau herunterhandeln“, schmunzelt Decker.

Längst war da der Nachtumzug ein Highlight an sich. Mit Wagen und Fußgruppen, die mit Beleuchtung komplett anders wirken als bei den großen Rosenmontagsveranstaltungen. „Groß gemacht haben uns aber die Ideen der Teilnehmer“, reicht Schwank das Lob, das von allen Seiten auf den Veranstalter trifft, brav weiter. Die Resonanz ist mittlerweile enorm, die Zuschauerzahl hat sich auf insgesamt rund 25 000 pro Jahr eingependelt. Stadtbusse und RNN, Bingen-Rüdesheimer und Rheinland-Pfalz-Takt sind mit ihren Angeboten längst auf das Event eingegangen, der Nachtumzug lässt sich problemlos ohne Autos besuchen.

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„Wir haben eine Marke geschaffen!“ sind Schwank und Decker zu Recht stolz. Die Verantwortlichen des TuS wollen frisch im Kopf und innovativ bleiben, ohne die Probleme zu negieren. Das Hauptaugenmerk liegt in diesem Jahr einmal mehr auf der Lautstärke, die von den Partywagen ausgeht und die zuletzt überhand genommen hatte. Das Thema sensibel anpacken, der Jugend ein Feld bieten und sich der sozialen Verantwortung über alle Generationen hinweg stellen, das will der Verein, der viele Kinder und Jugendliche in seinen Reihen weiß. „Wir schreiben den Musikgeschmack nicht vor, aber Techno gibt es bei uns nicht“, sagt Schwank und weist auf einen entscheidenden Faktor hin: „Die Lautstärke bestimmen wir!“ Allein dafür wurden vier Messgeräte angeschafft, die stichpunktartig eingesetzt und zu Konsequenzen führen werden. „Wer über die Stränge schlägt, wird rausgezogen“, will Schwank keine Kompromisse bei diesem sensiblen Thema gelten lassen.

Zurück zum ersten Umzug 2005. Der war eine „Erfolgsgeschichte, wie es sie in Büdesheim noch nicht gab“, ist Josef Decker heute noch selbst überrascht. Spontane Partys an der Strecke, das Zujubeln, das Zusammenspiel zwischen den Jecken im Lindwurm und der Menge am Straßenrand, alles passte von Beginn an. Und alles wird auch heute Abend wieder so sein. Mit viel „Spass uff de Gass“ eben. Denn jetzt lebt die Biddesemmer Fassenacht wieder wie selten zuvor.