Netzausbau in Bingen: Wenn die großen Anbieter nicht in die...

Schnelles Netz durch Glasfaser: Soll sich die Kommune gleich selbst drum kümmern?Archivfoto: dpa   Foto:

15,4 Millionen Euro würde es kosten, wenn Bingen sich entschließen sollte, das komplette Stadtgebiet mit Leerrohren für eine Glasfaser-Infrakstruktur aufzurüsten. Bei aller...

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BINGEN. 15,4 Millionen Euro würde es kosten, wenn Bingen sich entschließen sollte, das komplette Stadtgebiet mit Leerrohren für eine Glasfaser-Infrakstruktur aufzurüsten. Bei aller Liebe zum Hochgeschwindigkeitsinternet mit Bandbreiten von mindestens 100 Mbits/s: So tief in die Tasche greifen will niemand.

Die Zahl war denn auch mehr eine Orientierungsgröße, die auch von der Firma Micus Strategieberatung GmbH eher als Gesprächsanreiz kürzlich im Haupt- und Finanzausschuss in den Raum gestellt wurde. Das Düsseldorfer Unternehmen ist beauftragt, eine flächendeckende FTTB-Feinplanung für alle Haushalte und Gewerbetreibenden im Stadtgebiet Bingen zu entwickeln. Parallel schraubt auch der Landkreis Mainz-Bingen an einer Strategie, unterversorgte Gebiete für das neue Zeitalter der rasenden Daten flott zu machen.

Datenmengen zeitnah bewältigen

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Es ist klar, dass die neuen Geschwindigkeiten für Up- und Downloads im Internet erforderlich werden. Die derzeit üblichen Geschwindigkeiten werden nicht ausreichen, um die erheblichen Datenmengen in verträglichem, zeitlichem Rahmen zu bewältigen. Vor allem Unternehmen, die auf große Datenverkehre angewiesen sind, würden im weltweiten Wettbewerb buchstäblich in die Röhre blicken. Die Wirtschaft hat sich da selbst bereits mit dem Arbeitstitel „Industrie 4.0“ den Auftrag erteilt.

Obwohl aber der Bedarf absehbar ist, verhalten sich viele Netzbetreiber zögerlich, eben nicht zuletzt der enormen Kosten wegen. Deshalb hat sich die Idee geformt, auch im Bereich Internet sozusagen eine Rekommunalisierung der Netze anzustreben, indem die Kommunen den Takt beim Ausbau der Infrastruktur vorgeben. Die Hoffnung ist: Verfügt eine Stadt erst einmal über das entsprechende Netz oder zumindest die Vorbereitung für ein flächendeckendes Netz, werden die großen Betreiber aufspringen und sich dann einmieten. Bingen würde also selbst den Betrieb nicht übernehmen, sondern lediglich die Hardware dazu anbieten.

Das aber wäre eben auch für die Kommune mit astronomischen Kosten verbunden. Ironie des Schicksals dabei ist: Die Übergabepunkte sind weitgehend vorhanden, auch Glasfaser ist gemessen am Gesamtbetrag der Ausbaukosten für einen Appel und ein Ei zu haben. Was die Kalkulation durch die Decke schlagen lässt, ist die gute, alte analoge Handarbeit. Der Tiefbau nämlich, der bei dem Netzausbau der eigentliche Kostentreiber ist. Straßen müssten aufgerissen und wieder ordentlich hergestellt werden. Das ist arbeits- und kostenintensiv und: nur auf Verdacht nicht lohnend. Steffen Gräuler von Micus empfahl deshalb im Ausschuss einen sukzessiven Netzausbau, nämlich gekoppelt an ohnehin anstehende Tiefbauarbeiten in einer Straße. Wird also irgendwo wegen irgendwas aufgerissen, sollte gleich auch daran gedacht werden, Leerrohre für das Glasfasernetz mit zu verlegen.

Es gibt zwar auch Landeszuschüsse für dieses Vorgehen, aber so richtig Begeisterung wollte unter den Fraktionen nicht aufkommen. Denn zum einen bedeutet der sukzessive Ausbau ein ziemlich sukzessives Vorankommen, weil nun mal in Bingen nicht wie wild ganze Straßen aufgerissen werden, sondern vielmehr viele, viele Jahre ins Land gehen werden, bis alle Ecken erfasst sind. Bis dahin könnte dann schon von Industrie 8.0 die Rede sein.

Zum anderen bleibt aber auch die Rolle der großen Netzbetreiber undurchsichtig. Keiner kann sagen, ob sich die Unternehmen kurzfristig nicht doch ein Herz fassen und in den Netzausbau mit Glasfaser massiv einsteigen. Die Stadt sähe sich plötzlich im Wettbewerb mit den Unternehmen. Aufgrund der unglücklichen Erfahrungen als Netzbetreiber, die derzeit im Bereich Strom und Gas gesammelt werden, ist auch insofern Zurückhaltung erkennbar.

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Schließlich schreitet auch die Technologie stetig voran. Glasfaser muss nicht das Nonplusultra im Hochgeschwindigkeitsnetz bleiben. Zumindest machen es Smartphone & Co. bereits vor, dass es ohne Kabel recht komfortabel und schnell im Netz zugehen kann. Damit aber steht die Frage im Raum, ob künftig mit entsprechender Technologie nicht auch generell der Zugang ins Internet so aussehen wird, nämlich weitgehend kabellos.

Einstweilen werden alle Optionen weiter verfolgt; entschieden ist noch nichts.

Von Erich Michael Lang