Die Schulung des MSC lockt 18 Oldtimer-Fans nach Bingen. Fahrer und Copiloten lernen wie Karten richtig gelesen, Maßstäbe erkannt werden und die Code-Sprache verstanden wird.
BINGEN. Schnitzeljagd für Große: Regelmäßig laden Oldtimer-Clubs zu Orientierungsfahrten ein. Nicht das schnellste Team gewinnt, sondern das cleverste. Der MSC, der Motorsportclub Bingen, ist einer der Frühstarter in der Region. Um die Liebhaber alter Autos fit für die Saison zu machen, lädt der 172 Mitglieder starke Club zu Schulungen. Beifahrer trainieren das Entschlüsseln von Aufgaben.
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„Schachbrett-Chinesen sind in Wiesbaden beliebt“, verweist Frank Zimmermann, Sportleiter des Binger Clubs, auf das Fachjargon der Szene. Als Obmann des ADAC Mittelrhein schult er Veranstalter von Orientierungsfahrten. Ein Profi also. 18 Autofans sitzen im Saal der Touristinformation, die meisten Paare zwischen 40 und 60 Jahre. Alle eint die Leidenschaft für schöne Autos.
Es stehen Beispielaufgaben vergangener Rallyes bereit. „Oldtimersport ist echtes Teamfahren“, sagt Zimmermann. Denn der Beifahrer ist zuständig für die Route, muss die gestellten Aufgaben während der Fahrt entschlüsseln.
Blatt für Blatt geht Zimmermann mit der Gruppe die Stolperfallen der Kartenkunde durch. „Norden ist nicht bei jeder Karte automatisch oben“, sagt der Sportleiter. Höhenlinien und schmale Straßen bergen Verwechslungsgefahr. Und den Maßstab beachten, das ist beileibe nicht jedem Copiloten in die Wiege gelegt.
Hantieren mit Straßenkarten ist für Autofahrer heute völlig ungewohnt. Navigationsgeräte und Google Maps übernehmen den Job. „Aber das Navi bringt bei uns nicht den Sieg, denn nur der Beifahrer löst die Aufgaben der Route“, sagt Zimmermann. Der Copilot muss die geheimen Codes kennen, Begriffe und Zeichen, um Stress für den Partner im Wagen zu vermeiden.
„Manche Veranstalter lassen nur zeitgenössische Hilfsmittel zu“, sagt Zimmermann. Was vor 30 Jahren noch nicht erfunden war, darf dann nicht an Bord verwendet werden. „Zirkel, Klemmbrett, Geodreieck, Lupe und Stoppuhr sind immer hilfreich.“
Zimmermann benutzt Begriffe wie „Fischgräte“, „Würmer“ und „stumme Wächter“. Die meisten nicken wissend. Wie Ralf Pasman. Der Binger ist „schon lange Motorsport-Fan“. Der Oldtimer-Besitzer will sich jedoch auf die MSC-Tour im Frühjahr gut vorbereiten. Die 16. Europatour des 1957 gegründeten Vereins zielt auf den Spreewald.
„Für mich sind Oldtimer-Fahrten echtes Neuland“, sagt Renee Keßler aus Köln. Wie das eigens aus Bad Homburg angereiste Paar notiert sie sich Hinweise. „Wir sind neu in der Szene und solche Übungen gibt’s nicht überall“, sagen die Hessen.
Klar wird: Beifahrer-Schulung bedeutet keineswegs, des Familienfriedens wegen klug mal den Mund zu halten. Sie bereitet Oldtimer-Freunde auf die Schönwetter-Saison vor und auf die Verwirr-Tricks der Veranstalter. Nie sei der Beifahrer bloß Gewicht oder gar Zierrat, betont Zimmermann.
Neben Dieselfahrverboten und autonomen Mobilitätskonzepten, Car-Sharing und Ringen um jeden gesparten Kilometer wirkt Autofahren aus purer Freude ziemlich aus der Zeit gefallen. Vielleicht erklärt sich gerade aus dem Antitrend der Boom. Außerdem zieht der Wertzuwachs für ein seltenes Alt-Fahrzeug in Niedrigzinsphasen als Geld-Anlage. Mindestens 30 Jahre alt müssen Wagen für den Oldtimer-Titel aber schon sein.
„Das Leben ist ernst genug“, hält Zimmermann denen entgegen, die über die Fahrtenrätsel für Erwachsene den Kopf schütteln. „Es geht um nichts, höchstens eine Flasche Wein für den Sieger.“ Aber ein bisschen Ehrgeiz spielt anscheinend mit, sonst wäre der Binger Kurs nicht voll.
Der ADAC-Obmann weiß um den Lockstoff der Touren am Mittelrhein: „Bei unserer Mäuseturm-Classic im Herbst kommen Teams sogar aus Lübeck, um das Wochenende in Bingen zu verbringen.“
Und was bedeutet „Chinesen“ im Tour-Jargon nun? Sie geben nur um die Ecke gedacht den richtigen Hinweis und sollen bei Kreuzungen zum falsch Abzweigen verleiten. Ganz schön fies.