Klimapaket der Bundesregierung und Maßnahmen vor Ort reichen den Demonstranten bei Weitem nicht.
BINGEN. „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut!” – Seit März schallen Slogans wie dieser in unregelmäßigen Abständen durch die Binger Straßen. Etwa ein halbes Dutzend Demonstrationen hat der Binger Ableger der „Fridays for Future“-Bewegung zwischen März und November organisiert. Mit teilweise beachtlichen Erfolgen. Zwischen 500 und 600 Menschen waren auf der ersten Demonstration unterwegs, später nahmen mehrfach zwischen 200 und 300 teil.
Weitere Gruppen wurden ins Leben gerufen: Die Förster for Future, die gemeinsam mit „Fridays for Future“ unter anderem zwei große Baumpflanzaktionen orchestriert haben, die „Scientists for Future“, die sich mit Vorträgen und anderen Info-Veranstaltungen hervortun, und die Parents for Future. Und auch eine große gemeinsame Initiative für mehr Klimaschutz stieß „Fridays for Future“ gemeinsam mit Stadtverwaltung und Binger Kirchen an: den Schöpfungstag am 6. September, der Menschen mit ganz unterschiedlichen Perspektiven für Umwelt- und Klimaschutz zusammenbringen sollte.
Am vergangenen Freitag fand nun im Rahmen eines weiteren weltweiten Klima-Streiks die wahrscheinlich letzte „Fridays for Future“-Demonstration dieses Jahres statt. Etwa 170 Menschen hatten den Weg auf den Bürgermeister-Neff-Platz gefunden.
Die Zahlen an diesem Freitag seien erfreulich, findet die Binger „Fridays for Future“-Aktivistin Saskia Halbenz, und wieder deutlich besser als zu den letzten beiden Anlässen. Dennoch zeige sich: „Es stagniert im Moment eher, und wir müssen überlegen, welche weiteren langfristigen Perspektiven entwickelt werden können, um weiter politisch wirksam zu bleiben.“ Denn auch wenn die Bewegung in aller Munde und mittlerweile die ganz billige Kritik, etwa am Schulschwänzen, weniger geworden ist – große Erfolge jenseits der Präsenz in den Medien hat man noch nicht zu verzeichnen.
Das Klimapaket der Bundesregierung sei in jedem Fall kein solcher Erfolg, findet Halbenz. Viel zu wenige konkrete Maßnahmen stünden da drin, vieles sei wischi-waschi formuliert. Und daran, dass Beschlossenes am Ende tatsächlich auch umgesetzt wird, glaube man erst, wenn man es sehe. Den Ortsgruppen sei der Vorschlag unterbreitet worden, ob man sich am 29. November der Forderung nach einem „Neustart für das Klima“ anschließe, und Bingen habe dafür votiert. Denn mit dem bisher Beschlossenen bestehe keine Chance, die Erderwärmung auf das Ziel des Pariser Klimaabkommens von 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Auch mit der Binger Stadtpolitik gingen die Demonstranten am Freitag ins Gericht: Es sei ja schön, dass Oberbürgermeister Thomas Feser sich zum Schöpfungstag der Demo angeschlossen habe, aber dass es in Bingen beim Klimaschutz wirklich konkret vorangehe, das Gefühl habe man dann doch eher nicht. „Jetzt ist der Wahlkampf ja vorbei”, sagt Halbenz. „Wir sind gespannt, was nun passiert und hoffen natürlich das Beste.”
Hoffnung ist überhaupt das Stichwort: Dem ernsten Thema zum Trotz wirkt die Bewegung alles andere als pessimistisch. Einmal mehr trägt man zahlreiche selbstgebastelte Schilder mit oftmals witzigen Slogans durch die Stadt. „Mag sein, dass wir nicht jedes Mal mehrere hundert Menschen auf die Straßen bekommen, aber leiser werden wir deshalb auf keinen Fall“, erklärt Halbenz. Vom Neffplatz geht es bis zum Hauptbahnhof und zurück zum CityCenter, wo Aktivistin Sonja Burger Ideen präsentiert, um in der Vorweihnachtszeit den eigenen Konsum deutlich zurückzuschrauben. Mehr von sich selbst schenken, weniger Produkte, die nach nicht allzu langer Zeit oft sowieso wieder dem Müll überantwortet werden, lautet die Botschaft. Es trifft sich gut, dass parallel zur Demonstration auch der Tag des Konsums, der „Black Friday” ausgerufen war: Dieser Tag stehe eben auch für ein problematisches Konsumverhalten, das auch seinen Teil zur Klimakrise beitrage.
Nach einer mutmachenden Demo sei nun für die Binger Fridays for Future allerdings erstmal eine Winterpause notwendig, resümiert Halbenz: „Die Proteste sind schon auch unglaublich anstrengend. Wir brauchen etwas Zeit, um Kräfte zu sammeln.“