Als wäre von jetzt auf gleich das Leben verschwunden, verwaist der Tante-Emma-Laden in Gutenberg zusehends. Von der Decke baumelt eine drall aufgeblasene Plastikbanane, es...
KREIS BAD KREUZNACH. Als wäre von jetzt auf gleich das Leben verschwunden, verwaist der Tante-Emma-Laden in Gutenberg zusehends. Von der Decke baumelt eine drall aufgeblasene Plastikbanane, es stapeln sich Tütchen für Fertigsaucen, Instantkaffee, flaschenweise liegt Waschmittel umgekippt im Regal. Eine Kulisse wie nach einer Zombie-Apokalypse. Ein Geistergeschäft. Sogar die Blondine mit Schlafzimmerblick auf der Zigarettenwerbung bleicht allmählich aus. Lust auf Lights?
Seit zwei Jahren hat der Laden an der Hauptstraße geschlossen. Ein Verlust für die 1000-Einwohner-Gemeinde, weggebrochene Nahversorgung. Ortsbürgermeister Jürgen Frank sagt: „Das Geschäft war privat geführt und lief nicht sonderlich gut, aber es war bis zum Schluss ein Ort der Kommunikation.“ Nachfolger? Laut Frank nicht in Sicht. „Das rechnet sich schwer und braucht Personal.“
Dorfläden sind die Schnittmenge aus Supermarkt und Hofverkauf, versprühen nostalgischen Charme. In der Nachkriegszeit hat fast jede Gemeinde ihren Kolonialwarenladen gehabt. Zeitungen, Füllerpatronen, Feierabendbierchen, Dorfklatsch – dauerhaft im Angebot. Doch Handelsketten und Discounter haben den privaten Lebensmitteltresen zum Restposten werden lassen. Größere Auswahl, billigere Preise, gepökelte Oktoberfest-Haxe für 2,49 Euro. Dafür anonym. Der Kunde ist dort ein wandelndes Portemonnaie in Gang 7.
45 Prozent der Dorfläden werden erst gar nicht realisiert
Okay, in den vergangenen Jahren hat es so ausgesehen, als würde eine Gegenbewegung das Konzernnetz unterwandern. Revolte am Dorfgemeinschaftshaus. In kleinen Ortschaften haben Tante-Emma-Läden die Türglöckchen bimmeln lassen, manchmal privat, manchmal vereinsgeführt. Romantische Visionäre, Freiheit, Anfangseuphorie. Nur: Viele Bürger wünschen sich zwar einen Tante-Emma-Laden – doch wenn er dann da ist, gehen zu wenige hin. Volker Bulitta sagt: „Es müssen mehrere Faktoren zusammenkommen, damit ein Dorfladen funktioniert.“
Bulitta ist Geschäftsführer von m-Punkt, einer Anlaufstelle für Gemeinden in Rheinland-Pfalz für Fragen rund um Dorfläden – gefördert vom rheinland-pfälzischen Ministerium des Innern und für Sport. Bevor Dorfläden aufmachen, führen Bulitta und sein Team Machbarkeitsstudien durch, die ermitteln sollen, ob eine Eröffnung sinnvoll ist. Bulitta: „45 Prozent unserer Untersuchungen fallen negativ aus.“
In Guldental haben die Gründer auf eine Machbarkeitsstudie verzichtet – und 2013 „Gulina“ gestartet, den Dorfladen in der Naheweinstraße. Auf der einen Seite des Verkaufsraums gibt es Regionales. Mehl, Wein, Honig, Marmelade, in hellen Holzkisten lagern Obst und Gemüse. Auf der anderen Seite erhalten Kunden basale Artikel, Putzmittel, Ravioli aus der Dose, Zeichenblöcke. Hinzu kommen Metzgertheke, Getränkehandel, Molkereiregal, alles wie im Supermarkt eben, nur in klein. Und trotzdem sagt Rainer Schmitt: „Es ist grenzwertig, was wir hier leisten, eigentlich rechnet es sich kaum.“ Schmitt ist Vorsitzender des wirtschaftlichen Vereins „Gulina“, 170 Mitglieder. Er und seine Mitstreiter kümmern sich um die Organisation. Rund 450 000 Euro Umsatz verbucht das Projekt jährlich. Eine große Zahl. Demgegenüber steht indes, dass der Verein 2016 keinen Gewinn erwirtschaftet hat, 2015 sind es zwischen 3000 und 4000 Euro gewesen. „Wir haben 450-Euro-Kräfte, die bezahlt werden müssen, den Rest stemmen Ehrenamtliche. Ohne die würde es nicht gehen.“ Bestellungen, Lieferungen, Buchhaltung – sämtliche Geschäftsprozesse nehmen viel Engagement von 15 Freiwilligen in Anspruch. Ein Projekt zwischen Herzblut und Magenbitter. Und mit düsteren Aussichten: Der Netto-Markt in Windesheim hat bereits einige Kunden gekostet, der Rewe in Hargesheim ebenso, demnächst eröffnet ein weiterer Rewe in Langenlonsheim. Schmitt: „Ich würde mir wünschen, dass mehr Guldentaler das tolle Projekt unterstützen, unsere Philosophie mitgehen, damit beim Jahresabschluss die schwarze Null steht.“ Denn missen will von den Ehrenamtlichen das Geschäft keiner mehr.
„Mehrwert“ sei das Wichtigste, meint Volker Bulitta dazu. Mehrwert entscheide, ob ein Laden Erfolg habe. Das könne eben eine regionale Ecke sein, geografische Nähe oder Sonderaktionen. „Der Kunde muss einen Grund haben, in den Dorfladen zu gehen.“ Hinzu kämen eine gute Vereinsstruktur im Ort, starker gemeinschaftlicher Zusammenhalt, Tourismus und Personen, die sich um den Erhalt des Ladens bemühen.
Vor allem den letzten Punkt kann Martin Theis bestätigen. Theis ist Ortsbürgermeister von Hergenfeld, 500 Einwohner. Seit zehn Jahren gibt es hier einen Dorfladen, ebenfalls geführt von einem wirtschaftlichen Verein. Theis sagt: „Ob es gut läuft, ist Ansichtssache.“ Mehrfach im Jahr muss der Verein Feste veranstalten, Erdbeerbowle mit Blasmusik, Dinner in Weiß, Oktoberfest. Aktionen, um Einnahmen zu generieren, damit die vier Verkäufer bezahlt werden können, damit aus dem Dorfladen kein Minusgeschäft wird. „Wir müssen dauerhaft kämpfen, am Ball bleiben“, räumt Theis ein. „Aber es lohnt sich, wir haben durch den Laden einen neuen Treffpunkt im Dorf.“
Hallgarten: Gespräche über neuen Dorfladen laufen
Derweil macht in Hallgarten Tresentratsch die Runde, ein neues Geschäft soll eröffnen. Appetit auf Nahversorgung, trotz durchwachsener Empfehlungen. Ortsbürgermeister Jürgen Nau bringt Licht ins Dunkel der Gerüchtetheke: „Privatleute sind an mich herangetreten und haben mir von ihren Gedankenspielen erzählt, hier einen kleinen Verkauf zu starten.“ Spruchreif sei aber noch nichts, Ideen werden wie Ping-Pong-Bälle hin und her gespielt. Nur so viel: Einen Standort gäbe es bereits, die Räume des alten Lebensmittelladens in der Hauptstraße, rauchergelbe Jalousie, alte Zigarettenwerbung im Fenster. Seit Februar 2015 ist das Geschäft geschlossen, von jetzt auf gleich könnte wieder Leben einziehen.