Häusliche Gewalt, Date-Rape oder Betrug – die Berater des Weißen Rings unterstützen Betroffene. Außenstellenleiter Robert Klimowski verrät, wie die Mitarbeiter Geschädigten helfen.
Alzey-Worms. Alles hat harmlos angefangen: Auf einer Online-Datingplattform trifft sie auf das Profil eines jungen Mannes. Seine Bilder gefallen der Frau. Nachdem sie sein Profil mit einem Herz markiert, tauschen sie tagelang unzählige Nachrichten aus. Die Online-Bekanntschaft ist der Mittzwanzigerin sympathisch. Also verabreden sich die beiden. Doch wegen der Corona-Pandemie sind Bars, Restaurants und Kinos geschlossen. Deshalb gehen sie zunächst gemeinsam in einem nahe gelegenen Park spazieren. Beim folgenden Treffen lädt die junge Frau ihr Date dann zu sich nachhause ein. Der Mann, der bis dahin nett wirkte, drängt sich auf. Gegen ihren Willen berührt er sie, zwingt sie schließlich zum Geschlechtsverkehr. Sie wird Opfer sexualisierter Gewalt. Ein fiktives Beispiel, das die erschreckende Realität zeigt. Denn in Deutschland wird jede dritte Frau Opfer von körperlicher oder sexualisierter Gewalt.
Wir wollen den Hilfesuchenden Zeit und Raum geben, um sich zu öffnen.
Betroffene ziehen sich aus Scham zurück
Was der jungen Frau widerfahren ist, nennt sich „Date-Rape”. Dabei handelt es sich um sexualisierte Handlungen gegen den Willen des anderen während einer Verabredung. Dass Fälle dieser Art zugenommen haben, sei auch in der Außenstelle des Weißen Rings Alzey-Worms spürbar. Robert Klimowski berät seit sechs Jahren Betroffene von Gewalt und leitet seit Juni dieses Jahres die Außenstelle. Fälle von Date-Rape, sagt er, würden den Beratern vermehrt zugetragen. Der Landkreis Alzey-Worms bilde da keine Ausnahme, betont er. Der Großteil ihrer Beratungen drehe sich um Straftaten der sexualisierten Gewalt. Sie würden etwa ein Drittel ausmachen. Allerdings sagt Klimwoski: „Wir bekommen wirklich nur die Spitze des Eisbergs mit.” Er geht von einer hohen Dunkelziffer aus.
Nach solchen Straftaten würden die Betroffenen Schuldgefühle und Scham plagen. Das führe dazu, dass die Geschädigten keine Anzeige erstatten und sich stattdessen aus ihrem Umfeld zurückziehen. „Sie machen das einfach mit sich selber aus”, erklärt er. Einigen falle es zudem leichter, sich an den Weißen Ring zu wenden als etwa zur Polizei zu gehen. Klimowski versteht das. Schließlich könne er sich vorstellen, dass Verteidiger vor Gericht die Einladung zum Nachteil der Betroffenen auslegen könnten. Außerdem hätten die Berater im Gegensatz zur Polizei die Möglichkeit, Geschädigten Soforthilfen in Höhe von 300 Euro oder Hilfechecks auszuzahlen. So könnten die Kosten eines Anwalts, einer therapeutischen Erstberatung oder einer rechtsmedizinischen Untersuchung vom Weißen Ring übernommen werden.
Die zweithäufigsten Fälle in ihren Beratungen seien Straftaten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt. Die langjährige Betreuung von Geschädigten zeige dabei ein erschreckendes Muster: Der Großteil der Betroffenen habe bereits eine von Gewalt geprägte Geschichte. Teils war das Elternhaus gewalttätig, teils wurde Gewalt über Generationen hinweg angewandt. „Das ist bitter”, sagt Klimowski kopfschüttelnd. „Und ich weiß nicht, wie man dem entgegenwirken kann.”
Stalking nimmt zu, aber bleibt oft unerkannt
Ein Bereich weise seit drei bis vier Jahren einen signifikanten Anstieg auf – das Stalking. Eine Erklärung, sagt der Außenstellenleiter, könne die Corona-Pandemie sein. Manche Menschen hätten Angst gehabt, zu vereinsamen und klammerten sich deshalb an einen Menschen. Eine größere Gefahr sieht Klimwoski allerdings in den sozialen Medien und der damit verbundenen ständigen Erreichbarkeit. Es bestünde nicht nur die Möglichkeit, eine Person jederzeit anzurufen oder ihr eine Nachricht zu schreiben. Auch eine permanente Kontrolle werde über Statusmeldungen und Beiträge in den sozialen Netzwerken begünstigt: Was macht er/sie? Wo und mit wem ist er/sie? Mit wem pflegt er/sie regelmäßigen Kontakt? „Viele sind sich nicht der Gefahr bewusst, dass man es einem mutmaßlichen Peiniger damit sehr leicht machen kann”, sagt Klimowski. Obwohl der sogenannte Stalking-Paragraf „§ 238 Nachstellung” im Strafgesetzbuch reformiert wurde, erweise sich der Nachweis von Stalking noch immer als schwierig. Die emotionale und soziale Belastung sei von außen betrachtet nur schwer nachvollziehbar. So blieben die Muster oft unerkannt und schnell dränge sich die Frage auf: „Ist das schon Stalking?“
Wenden sich Betroffene an den Weißen Ring, müssten sie solche Reaktionen nicht befürchten, denn die Berater würden allen Betroffenen erstmal Glauben schenken, so Klimowski. Es sei enorm wichtig, den Geschädigten das Gefühl zu vermitteln, gehört zu werden. „Wir wollen den Hilfesuchenden Zeit und Raum geben, um sich zu öffnen.”
Um die Beratung Geschädigter kümmern sich aktuell acht Ehrenamtliche in der Außenstelle des Weißen Rings. Im Jahr erreichen etwa 80 Fälle die Außenstelle – mit steigender Tendenz. Die Betroffenen seien verschiedenen Alters, erklärt Klimowski. Bis 55 Jahre sei beinahe jedes Alter vertreten, vorrangig kümmern sie sich aber um junge Menschen. Seit der Übernahme der Außenstellenleitung im Sommer habe Klimowski regelmäßige Treffen mit Netzwerkpartnern wie dem Frauennotruf und der Polizei sowie seinen Mitarbeitern organisiert. Davon erhoffe er sich eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Außerdem würden sich die Berater einmal monatlich über ihre Fälle austauschen und über kommende Schritte und sinnvolle Veränderungen beraten. Diese kollegialen Fallberatungen würden auch der gegenseitigen Psychohygiene der Berater dienen. Für die Zukunft der Außenstelle Alzey-Worms wünscht Klimowski sich vier bis fünf weitere Mitarbeiter zu finden. „Um Menschen, die wegen einer Straftat den Boden unter den Füßen verloren haben, eine Stütze zu sein”, sagt der Leiter.