MAINZ-BINGEN - An Themen mangelte es beim Neujahrsempfang des Kreisverbandes von Bündnis 90/Die Grünen nicht. Neben Bundestags- und Landratswahl, die in diesem Jahr anstehen, wurden bei der Veranstaltung in Gau-Algesheim auch europäische und globale Entwicklungen in den Blick genommen. Der zunehmende Populismus, der Brexit oder der neue US-Präsident lieferten ebenso Diskussionsstoff wie die Flüchtlingsthematik, die für die Grünen weiterhin von zentrale Bedeutung ist. Als Experten für dieses Thema hatte der Kreisverband Prof. Dr. Gerhard Trabert eingeladen.
Der Arzt und Gründer des Vereins „Armut und Gesundheit in Deutschland“ kümmert sich um die medizinische Versorgung bedürftiger Menschen und unternimmt auch immer wieder Auslandseinsätze – etwa als ziviler Seenotretter im Mittelmeer. In seinem Vortrag ging Trabert mit der europäischen Flüchtlingspolitik hart ins Gericht. „Wir beklagen uns über Trump, obwohl die EU das Gleiche macht“, spitzte er die Problematik zu. Ein Skandal sei es, dass Deutschland und die EU die libysche Küstenwache unterstützen wollten, um den Flüchtlingsstrom nach Europa einzudämmen. Die Küstenwache bestehe aus Gangstern, die Flüchtende misshandele, foltere und vergewaltige. Man solle lieber überlegen, wie man legale Zugangswege schaffen könne.
Auf Deutschland bezogen, warnte Trabert vor „einer Enthumanisierung unserer Gesellschaft“, er verurteilte Populismus und die zunehmende Gewalt gegen Flüchtlinge. Das Problem müsse man an der Wurzel packen, indem man soziale Ungerechtigkeiten beseitige. Es könne doch nicht sein, dass Manager wie der frühere VW-Chef Winterkorn über 3000 Euro Rente pro Tag bekämen, während sich andere keine medizinische Versorgung leisten könnten. An die Grünen appellierte Trabert, dieses Thema im Bundestagswahlkampf zu besetzen.
Einstimmung auf bevorstehende Wahlen
In der anschließenden Diskussionsrunde mit Landratskandidatin Irene Alt ging es auch um die Gesundheitskarte für Flüchtlinge, die in Rheinland-Pfalz bislang nur zwei Kommunen (die Städte Mainz und Trier) eingeführt haben. Im Landkreis Mainz-Bingen gibt es die Karte nicht, was Irene Alt gerne ändern würde. Als Landrätin würde sie sich für die Gesundheitskarte einsetzen, versprach die ehemalige rheinland-pfälzische Integrationsministerin. Gerhard Trabert begrüßte dies ausdrücklich und betonte, dass ein diskriminierungsfreier Zugang zu medizinischer Versorgung gerade für traumatisierte Menschen wichtig sei. Dass sich die meisten Kommunen dagegen sperrten, könne er nicht verstehen.
In den „Wahlkampfblöcken“ schwor Landtagsabgeordnete Pia Schellhammer die Kreisgrünen zunächst auf die Landratswahl am 11. Juni ein, danach tat Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner das Gleiche im Hinblick auf die Bundestagswahl. „Es geht um richtig viel, nämlich um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen“, machte Rößner den Stellenwert des Urnengangs am 24. September deutlich. Die Populisten seien im Aufwind, das Projekt Europa drohe zu scheitern. „Gerade für die jungen Menschen müssen wir das Haus Europa weiterbauen“, so der Appell der Spitzenkandidatin der rheinland-pfälzischen Grünen.