Donnerstag,
14.11.2019 - 00:00
2 min
Plädoyer für Selbstverwaltung
Von Beate Schwenk
MAINZ-BINGEN - Ist die kommunale Selbstverwaltung in einer Zeit, in der die Welt zum globalen Dorf zu werden scheint, überhaupt noch zeitgemäß? Oder ist es eher ein Anachronismus, dass Städte und Gemeinden ihre Angelegenheiten, soweit als möglich, eigenverantwortlich regeln können? Das Thema ist hoch umstritten.
In Peter Müller, 1999 bis 2011 saarländischer Ministerpräsident und heute Bundesverfassungsrichter am zweiten Senat, hat das Selbstverwaltungsmodell einen glühenden Befürworter. „Umso mehr vor Ort entschieden wird, umso weniger haben Menschen das Gefühl, dass an ihnen vorbeiregiert wird“, griff Müller bei einem Vortrag im Ockenheimer Kloster Jakobsberg einen nicht unwesentlichen Aspekt heraus. In Zeiten, in denen Menschen zunehmend den Eindruck hätten, dass ihre Meinung nicht zähle, sei die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung das richtige Rezept, meinte Müller im Rahmen des „Jakobsberger Gesprächs“, zu dem der Landkreis Mainz-Bingen eingeladen hatte.
Als Jurist lieferte Peter Müller dem Publikum den rechtlichen Befund gleich mit: „Die Verfassung garantiert die kommunale Selbstverwaltung.“ Und mehr noch, man könne eine Art „Allzuständigkeit der Gemeinde“ herauslesen: „Was vor Ort geregelt werden kann, soll vor Ort geregelt werden.“
Wie immer geht es aber auch ums liebe Geld. Ein Aspekt, den die Mainz-Binger Landrätin Dorothea Schäfer bei ihrer Begrüßung ins Spiel gebracht hatte. Den Kommunen würden immer mehr Aufgaben übertragen, doch bei der Finanzierung springe die Ampel auf Rot. Hier verwies Müller auf das Konnexitätsprinzip, wonach mit einer Zuweisung von Aufgaben, auch deren Finanzierung einherzugehen hat. Oder anders gesagt: Wer bestellt, bezahlt. Geschieht das nicht, dann müsse die Kommune ihr Recht einfordern – zunächst politisch, dann juristisch. Einen schweren Stand hat der Selbstverwaltungsgedanke allerdings, wenn man den Blick nach Europa lenkt. In diesem Kontext nämlich ist das deutsche Modell „ein ziemliches Unikat“, wie es der frühere saarländische Ministerpräsident formulierte. Außer in Österreich und in Ansätzen in Schweden finde man es in keinem der Mitgliedsländer. „Das europäische Recht lässt es zwar zu“, erklärte Müller. In der Wirklichkeit indes spiele die Selbstverwaltung keine Rolle. Aus Müllers Sicht der falsche Weg. „Es muss mehr Raum für gelebte Subsidiarität und gelebte Selbstverwaltung geben“, so sein Plädoyer. Und das eingebettet in ein geeintes Europa, das Müller für unverzichtbar hält, soll das Schiff Europa in eine gute und prosperierende Zukunft schippern.
Trotz aller Probleme und Debatten sieht Müller die kommunale Selbstverwaltung nicht als hoffnungslosen Fall: „Sie ist in schwerem Wasser, aber ich habe die Hoffnung, dass sie das Wasser gestärkt verlässt.“