Eine Studie des Instituts Gewos belegt großen Bedarf für den Landkreis Mainz-Bingen. Besonders die preisgünstigen Angebote fehlen.
Von Sören Heim
Im Kreis Mainz-Bingen ist Wohnraum knapp. Derzeit wird das Baugebiet Weinberg V in Nieder-Olm erschlossen.
(Foto: hbz/Stefan Sämmer)
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MAINZ-BINGEN - Etwa 1300 preisgünstige Wohnungen fehlten 2017 im Landkreis Mainz-Bingen. Bis 2035 könnte der Anstieg der Bevölkerung zu einem Neubaubedarf von 8800 Wohnungen führen. Allein auf Bingen und Ingelheim entfielen dann jeweils über 1000.
Das sind zwei zentrale Zahlen der Studie, die das Institut Gewos für den Landkreis erstellt hat. Das Institut sammelte Daten der Vergangenheit bis heute und leitete daraus Projektionen bis 2035 ab. Mainz-Bingen sei ein prosperierender Landkreis mit allen Chancen eines solchen, aber auch mit allen Herausforderungen, so Landrätin Dorothea Schäfer zur Vorstellung der Studie am Montag in der Kreisverwaltung. Im Bereich bezahlbarer Wohnraum müsse dringend etwas geschehen, bekräftigte Schäfer und erinnerte daran, dass dies längst nicht mehr nur ein Problem von Menschen mit sehr niedrigen Einkommen sei: „Die Schwierigkeit trifft auch Personen und Familien mit Einkommen, bei denen man früher davon ausgegangen wäre, dass sie sich ohne Probleme eine adäquate Wohnung leisten können.“
Die Zahlen klingen teilweise durchaus alarmierend. Die Durchschnittsmieten im Landkreis hätten in den vergangenen Jahren stark angezogen, so Dietmar Hofmann von Gewos. In Bingen etwa um 17 Prozent und damit stärker als beispielsweise in Berlin, das regelmäßig als Beispiel für rasant steigende Mieten herhalten muss. Mehrere Entwicklungen griffen dabei ineinander: Einerseits finde weiterhin starker Zuzug an den Rhein statt, was auch an der Nähe zu Frankfurt und Mainz liege. Besonders für Familien mit Kindern sei der Landkreis Mainz-Bingen dann eine interessante Alternative. Außerdem verkleinerten sich die Haushalte, und gerade ältere Menschen lebten länger alleine. Das Problem werde noch verschärft durch die Tatsache, dass zahlreiche soziale Wohnbauten in den nächsten Jahren aus der Sozialbindung fallen. Mehr als 800 von knapp 1300 Wohnungen mit gebundenen Mieten gehen bis 2035 verloren. Besondere Ereignisse wie den starken Zuzug von Flüchtlingen seit 2016 habe die Studie dabei herausgerechnet, weil es darum gehe, ein langfristiges Bild zu erstellen. Als Handlungsempfehlung gibt Hofmann der Politik mit auf den Weg: Der Wohnbestand für unterschiedliche Zielgruppen müsse unbedingt ausgeweitet werden, vor allem Flächen sparende Wohnformen wie Reihenhäuser und Stadthäuser würden benötigt. Ganz besonders groß sei der Bedarf bei preisgünstigen kleinen Wohnungen für Alleinstehende, sowohl unter jüngeren als auch unter älteren Menschen. Neue Flächen müssten entwickelt werden und Verdichtungspotenziale und Baulücken ausgeschöpft. Der Markt werde auf dieses Problem allein keine Antwort finden, ist Hofmann überzeugt.
BLICK IN ZUKUNFT
Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung für ausgewählte Gemeinden:
Bingen: + 6,4%
Budenheim: + 4,3%
Ingelheim: + 2,0%
VG Rhein Nahe: - 5,2%
VG Gau-Algesheim: - 0,2%
VG Rhein-Selz: + 2,6%
VG Bodenheim: + 4,5%
VG Nieder-Olm: + 3,5%
VG Heidesheim: + 3,3 %
VG Sprendlingen-Gensingen: + 5,6 %
Diese Ansicht teilen der Erste Kreisbeigeordnete Steffen Wolf und Landrätin Schäfer. Es finde in allen Gemeinden definitiv ein Umdenken statt, berichtete Wolf von einer Konferenz mit regionalen Bürgermeistern. Die öffentliche Förderung sozialer Wohnbaumaßnahmen und auch Neubauten kämen wieder auf den Tisch. Ein Problem bestehe darin, dass der Kreis auf diesem Feld nicht tätig werden dürfe. Derzeit würden daher zwei Wege geprüft. Der eine sei die Änderung der Landkreisordnung, auf dass es dem Kreis möglich wäre, sich selbst mit der Gründung einer Wohnungsbaugesellschaft zu engagieren. Der andere sehe im Rahmen des bestehenden Gesetzes vor, dass sich der Kreis mittels einer Strukturgesellschaft an einem Zweckverband beteilige, zu dem sich Kommunen zusammenschließen. Im Zweckverband könnten die Kommunen, in deren Aufgabenbereich die Wohnraumentwicklung fällt, sich koordinieren und so zum Beispiel auch stärkeren Druck auf Preise ausüben. Das geschieht teilweise schon, der Vorteil in dem angedachten Modell wäre, dass der Kreis über die Strukturgesellschaft seine Expertise einbringen könnte.
Denn auch, so Landrätin Schäfer, wenn die Gemeinden natürlich sich die Hoheit über ihre Entscheidungen nicht nehmen lassen wollen, das Bedürfnis nach Zusammenarbeit sei groß. Vorerst müsse der Kreis nun abwarten, wie die zuständigen Stellen beide Vorstöße bewerten. Dann könne man weiter planen. Allerdings heiße das nicht, so wiederum Dorothea Schäfer, dass bis dahin nichts geschehe: Städte und Gemeinden hätten teilweise schon eigene Projekte auf den Weg gebracht, um bezahlbaren Wohnraum zu entwickeln.