Mit viel Geduld und Eigeninitiative wurde Susanne Stangl Geigenbauerin. Warum es nicht leicht ist von dem Handwerk zu leben, erzählt sie in der AZ-Serie zu „Seltenen Berufen“.
Von Denise Kopyciok
Geigenbauerin Susanne Stangl in ihrer Werkstatt in Ingelheim.
(Foto: Thomas Schmidt)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
INGELHEIM - Geduldig sitzt Susanne Stangl in ihrer Werkstatt. Hohe Decken, weiße Vorhänge vor den Altbaufenstern, antike Möbel in Altrosa zieren den großen Raum, in dem sie ihre Kunden berät. Hinter einer weißen Doppelflügeltür geht es zu ihrer Werkbank: Ordentlich aufgereiht hängen hier Geigen an der Wand. Ein sanfter Duft nach warmem Leim liegt in der Luft. Susanne Stangl ist Geigenbauerin, kümmert sich um Geigen, Bratschen, Kontrabässe und Celli. Gerade arbeitet sie am Bau einer Gitarre. Vorsichtig gleiten ihre Finger über das Holz und die feinen Skizzen auf dem Korpus – eine Flamenco-Gitarre soll hier entstehen. Doch die Gitarre baut sie in ihrer Freizeit.
Aufträge zum Bau neuer Instrumente sind selten. „Ich liebe meinen Beruf“, betont sie und blickt entlang der aufgereihten Streichinstrumente, „nur leben kann ich davon nicht.“ Zwischen ihrem Nebenjob in der Pflege und der Zeit in der Werkstatt erinnert sie sich an ihre anfängliche Euphorie, als sie 2015 ihr eigenes Atelier in Ingelheim eröffnet hatte.
Damals sah sie noch viel Potenzial in der Region und Kooperationsmöglichkeiten mit Musikschulen und Orchestern. Doch das Geigenbauhandwerk habe es schwer. Die meisten Schulen und Musikvereine sind schon versorgt, auch online locken Angebote: „Wir merken schon die Konkurrenz durch günstige Instrumente aus China“, erklärt Stangl, aber auch in der Region selbst sei es schwer. „Die Musikschulen haben langjährige Verträge mit Geigenbauern, auch wenn diese weiter entfernt sitzen“, weiß sie, „und Musiklehrer verkaufen oft selbst Instrumente.“ Es könnte also besser laufen.
Ihre Kunden kommen meist aus der Region. „Für die einen baue ich neue Streicher, für andere repariere ich Instrumente“, erklärt sie. Für den Bau einer Geige benötigt sie rund 120 Stunden, also gut drei bis vier Wochen. Dann sitzt sie in ihrem Atelier. Stunde um Stunde unter der hellen Lampe: Sägt, hobelt, pfeilt und leimt.
Es benötige viel Eigeninitiative, um das Handwerk richtig auszuführen, macht sie klar. „Ich lerne nie aus“, erzählt sie, „jedes Instrument ist anders, will anders behandelt werden.“ Sanft streicht sie über die glatte Oberfläche des Geigenkörpers.
Die 33-Jährige hat ihre Leidenschaft für das Instrument zum Beruf gemacht. Freie Gesellenstellen sind selten, die Konkurrenz auch unter Geigenbauern hierzulande ist groß. „Der Geigenbau zählt zu einer aussterbenden Berufsgruppe“, sagt sie. Statt sich einer Reparaturwerkstatt, einem Handwerksbetrieb oder Museum anzuschließen, wagte sie den Schritt in die Selbstständigkeit – trotz der schwierigen Wirtschaftslage. „Es ist die Vielfalt, die hier zusammenkommt“, erzählt sie. Die detailgenaue Arbeit an den Streichern und der direkte Kontakt zu den Kunden. Denn es sei sehr wichtig, genau darauf zu achten, wer welches Instrument bekommt. „Die Geige muss ja zu einem passen.“ Für Stangl sind eine persönliche Beratung und die Erfüllung individueller Wünsche oberste Priorität. „Es braucht Zeit, die richtige Geige zu finden“, macht sie klar. Dabei kommt es beim Instrumentenkauf nicht immer auf den Preis an. „Teuer ist gut, aber nicht der ausschlaggebende Faktor“, macht Stangl klar. „Die Geige sucht sich auch den Spieler“, erklärt sie. Die Qualität des Instruments und die individuelle Anpassung seien das A und O, weiß Stangl. Was sie nicht weiß: Wie sich die Konkurrenz unter den Geigenbauern in Zukunft auf das Geschäft auswirken wird. „Wir brauchen einen direkten, offenen Austausch unter den Geigenbauern“, plädiert sie für einen offenen Verband aller Geigenbauer in Deutschland. „Junge Menschen müssen eine Chance bekommen“, damit das Jahrhunderte alte Wissen und die Erfahrungen nicht verloren gehen.