Der Brunnen „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ vor dem Boehringer Ingelheim Center. Foto: Frank Daum/Boehringer Ingelheim Center (BIC)
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INGELHEIM - Der Name „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ erinnert im ersten Moment an den 1864 erschienenen Roman des französischen Schriftstellers Jules Verne. Doch in Ingelheim hat der 1956 in München geborene Bildhauer Christian Tobin seinem Kunstwerk diesen besonderen Namen gegeben: Im Jahre 2000 schuf er vor dem Boehringer Ingelheim Center (BIC) eine Brunnenanlage, eine aus fünf Steinsäulen bestehende kinetische (bewegte) Skulptur in einem kreisrunden Wasserbecken. Tobin, der „Vater“ der Kugelbrunnen vom Typ „floating spheres“, bei denen eine Steinkugel auf einem dünnen Wasserfilm schwebt, entwickelte dieses faszinierende Prinzip weiter.
Beim ersten Blick auf die fünf Säulen sieht es so aus, als ob einige ihrer Teile torkeln und jeden Moment abzustürzen drohen. Da das aber bereits seit 17 Jahren so aussieht, wird es wohl doch „mit rechten Dingen zugehen“. „Klar“, bestätigt das der Künstler schmunzelnd, „es geht hier um angewandte sphärische Geometrie und Trigonometrie. Komponenten der Säulen habe ich mit sphärischen Schnitten, also ungefähr in Halbkugelform, voneinander getrennt. Über eine innen von unten verlegte Leitung presst eine Druckpumpe Wasser in diese Schnittstellen. Die oberen Säulenteile schweben dann auf einem dünnen Wasserfilm, verlassen ihr ursprünglich stabiles Gleichgewicht und beginnen sich zu drehen. Dabei verschieben sich die Achsen, die Säulen beginnen zu pendeln. Das heißt, die größte Auslenkung haben sie an ihrem unteren Ende. Dadurch wächst die Tendenz zum Aufrichten und zur Wiedererlangung der Stabilität mit zunehmender Schieflage.
Die Steinquader scheinen zwar die Gesetze der Schwerkraft in Frage stellen zu wollen – und doch ist es die Gravitation, die ihren Tanz erst ermöglicht. Einmal aus ihrer senkrechten Lage ausgelenkt, haben sie das Bestreben, sofort in diese stabile Lage zurückzukehren. Nähern sie sich jedoch dann dieser Position, ist ihre Geschwindigkeit zu hoch und sie pendeln über ihr Ziel hinaus.
DIE SERIE
Bis ins 20. Jahrhundert hinein gab es in Ingelheim rund 30 öffentliche Brunnen, an denen sich die Bürger mit Wasser versorgen konnten und die auch als Viehtränke dienten. Im Rahmen einer Serie stellen wir einige der heute noch oder wieder aktiven Brunnen und ihre Geschichte vor.
Immer von Neuem angetrieben durch das zuströmende Wasser und irritiert durch die Drehung tanzen sie so um ihre eigene Senkrechte, ohne in ihr zum Stillstand zu kommen. Die Steine allein kennen diese imaginäre Achse; ihre Position und Richtung bestimmen den Tanz und mit jeder Bewegung, jeder Schwingung und Drehung wird diese Linie aufs Neue und immer genauer definiert.
Wir Betrachter können sie nicht sehen, nur ahnen, dass sich die Achsen aller fünf Säulen genau in einem Punkt treffen: dem „Mittelpunkt der Erde“.
Die Säulen bestehen aus Larvikit, ein Material, das insbesondere durch seinen interessanten Schimmereffekt auffällt. „Beim Brechen der Steine in Norwegen war ich vor Ort und habe festgelegt, in welchen Abständen in den Fels gebohrt wird“, erläuterte Tobin. „Die Bohrlöcher sind als Streifen auf den Säulen klar zu erkennen.“
Nach seiner Interpretation des eindrucksvollen Brunnens befragt, erinnerte er sich an die Einweihung im Jahre 2000: „Wenn die Steine sich bewegen, sieht es aus, als ob sie miteinander redeten. Das ist passend für ein Kunstwerk, das vor einem Kommunikationszentrum steht. Durch Form, Farbe, Struktur und Bewegung treten die Säulen in Dialog zum BIC, das sich durch glatte, teils reflektierende Oberflächen und moderne Materialien auszeichnet.“