André Sekulla bringt anderen Menschen das Tanzen bei. Er besetzt damit eine Marktlücke in Bingen. In der Stadt am Rhein-Nahe-Eck gibt es keine Tanzschule mehr.
Von Christine Tscherner
André Sekulla gibt Tanzkurse in der Kempter Pfarrscheune. Zu sehen ist er mit Tanzschülerin Isabell Freier.
(Foto: Christine Tscherner)
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KEMPTEN/INGELHEIM - André Sekulla, 29, hat eine Marktlücke entdeckt: Tanzen. Der Maschinenbauingenieur trainiert nebenberuflich Brautpaare und Kerbejahrgänge, Paare und Singles fürs Scheinwerferlicht. Aus der Hilfestellung für Freunde wurde in Kempten ein Nebenjob mit schwungvoller Dynamik. Gewerbeanmeldung, Schwarmverhalten und Mietraum legten den Grundstein. Ein Besuch.
„Wie-ge-Steh!“ André Sekulla demonstriert vor der breiten Fensterfront der Pfarrscheune eine Rumba. Beherzte Probeschritte, leichter Hüftschwung, dann der Testlauf mit Musik. „Gar nicht so schwer“, sagt ein Herr in den 30-ern. „Zwo, drei, vier.“ Viel kommentieren kann er gerade nicht. Takt mitzählen geht vor. „Wie-ge-schritt“. Es ist die dritte Stunde des Anfängerkurses. Paare auf dem Parkett gehen in Grundstellung. An der Theke schenkt Hans-Jürgen Erff Getränke aus. Einnahmen des Ehrenamtlichen kommen dem Kindergarten und der Dreikönigskirche zugute.
Von Discofox über Cha Cha Cha bis Walzer reicht das Standard-Programm. Für Salsa bietet Tanzlehrer André Sonderkurse an. Fortgeschrittene starten später am Abend. Für vier Kurse hintereinander hat Sekulla mittwochs die Katholiken-Scheune gemietet. „Weil es in Bingen keine Tanzschule mehr gibt, ist der Markt theoretisch sehr groß.“
Er selbst lernte wie viele Binger bei Solveig Geisinger und Thomas Pest in Bingerbrück seine Tanzschritte. „Ich hatte Riesenspaß, bin dabei geblieben, bis die Tanzschule schloss.“ Stephanie und Hans Peter Reinhardt aus Bad Kreuznach eröffneten in den renovierten Räumen eine Filiale. Auch im Palais versuchte sich eine Dependance aus Bad Kreuznach, Daub-Volk.
Wer klassisch als Teenie nach Tanzkursen sucht, fährt zu Uwe und Christa Künkler nach Gau-Algesheim oder pendelt nach Bad Kreuznach. Eine Schulstadt, ein Mittelzentrum ohne Tanzschule? Eigentlich ein Unding.
André Sekulla ist bei einem großen Pharmaunternehmen der Region angestellt. Der Tanzlehrerjob läuft nebenberuflich. Als geübter Tänzer wurde der Ingelheimer immer mal wieder von Hochzeitspaaren und Kerbejahrgängen gefragt: „André, kannst Du uns bitte ein paar Schritte beibringen?“ Blamieren bei Hammeltanz oder beim Hochzeitswalzer will sich niemand.
Sekulla half aus. „Ende 2017 fragten mich Freunde, ob ich ihnen Tanzstunden geben würde.“ Als Studio diente das Wohnzimmer einer Kollegin in Mainz. Als diese umzog, stand der Tanztreff vor dem Aus. „Kein Raum, kein Kurs.“ Dann die Idee: „Wenn wir uns Raumkosten bei einer Miete teilen würden, könnte es weitergehen.“ Weil Sekulla aus Kempten stammt, nahm er zur Kirche Kontakt auf. „Der Mittwoch in der Pfarrscheune war frei, die Miete günstig und plötzlich nahm die Sache richtig Fahrt auf.“ Das Kursprogramm verbreitete sich auf Empfehlungsbasis, Sekulla meldete ein Gewerbe an und unterrichtet derzeit 50 Teilnehmer. „Seit dem Start im Frühjahr 2018 hatte ich 130 Schüler“, sagt der Trainer stolz. Dauerbrenner sind Discofox und Walzer. „Damit kann man eine Hochzeit nett durchtanzen.“
„Von 17 bis 67 Jahre reichte bislang bei mir die Altersspanne“, sagt Sekulla. Die klassischen 14- bis 16-Jährigen haben Kempten noch nicht auf dem Schirm. Auch wenn sich’s altbacken anhört – gewünscht ist bei Einsteigern das klassische Gesellschaftstanz-Paket mit dem Ziel, als passabler Tänzer auf Feiern Spaß auf dem Parkett zu haben. TV-Formate wie „Lets Dance“ befeuern den Boom.
Weil Latinotänze im Trend liegen und mittwochs in Kempten nicht für alle Tanzwilligen passt, zielt Sekulla auf Expansion. „Derzeit stricke ich mit einem freiberuflichen Kollegen an einem erweiterten Angebot.“
Die Tänzer finden aus dem Binger Umland, Ingelheim bis Oberwesel zu ihm. „Die Nachfrage ist groß, der Markt rund um Bingen auch“, sagt Sekulla. Mitglied beim Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband ADTV ist der Ingenieur nicht. Theoretisch kann jeder unterrichten, der Kundschaft findet. „Geschützt ist die Berufsbezeichnung ja nicht.“ Als Büro reicht dem Tanzlehrer sein Smartphone.