Nachhaltigkeit contra Stadtentwicklung: Die Ingelheimer Dünen und Sande
Von Beate Schwenk
Die „Ingelheimer Sande“ werden in der Nähe des Naturschutzzentrums an der Neumühle unmittelbar sichtbar. Eine Dünenlandschaft mit der typischen Fauna und Flora. Die Mitglieder der Naturschutzgruppe Ingelheim (im Hintergrund) wünschen sich einen Ranger für dieses Naturschutzgebiet. Foto: Thomas Schmidt
( Foto: Thomas Schmidt)
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INGELHEIM - Dass man sich unweit des Rheins zwischen Frei-Weinheim und Heidesheim in Teilen eines Dünengebiets befindet, springt nicht auf den ersten Blick ins Auge. Die natürliche Vegetation in den „Ingelheimer Dünen und Sanden“ ist nur an wenigen Stellen erkennbar. Ein nährstoffarmer Sandboden mit spärlichem Bewuchs – so wie man das beispielsweise von der Nord- oder von der Ostsee kennt. Entstanden ist die Dünenlandschaft nach der letzten Eiszeit vor zirka 10 000 Jahren. In den trocken-kalten Phasen wehte der Wind über die offenen Flächen und türmte den Sand zu Hügeln auf. „Ein Biotopsystem von nationaler und mitteleuropäischer Bedeutung für den Arten- und Biotopschutz“, so steht es in der Rechtsverordnung der Oberen Naturschutzbehörde des Landes zur Unterschutzstellung des Gebiets im Jahre 2003.
Die Intention des Naturschutzes ist klar: Es geht darum, den ursprünglichen Zustand möglichst zu erhalten oder wieder herzustellen. Auf einigen Flächen wird das von der „Naturschutzgruppe Ingelheim und Umgebung“ (NSGI) übernommen. Im Auftrag des Landes kümmert sie sich darum, dass die natürliche Fauna und Flora zurückkehren kann. Doch das betrifft nur einen Teil des rund 330 Hektar großen Gebiets, für den Rest fehlen dem Land die Mittel. Das wiederum sorgt für Kritik. Im letzten Jahr hatte FDP-Stadtratsmitglied Helmut Immerheiser eine Zuwucherung von Naturschutzflächen beklagt und eine Anhörung gefordert, die noch aussteht. „Schutzziel ist, dass die Flächen offen gehalten werden“, erklärt Immerheiser. Doch davon sei wenig zu sehen.
Dort aber, wo die „Ingelheimer Sande“ sichtbar werden, sind interessante Entdeckungen zu machen. Zum Beispiel nördlich des Naturschutzzentrums an der Neumühle. Über einen schmalen, sandigen Pfad erreicht man eine Dünenlandschaft mit der typischen Fauna und Flora. Dort gedeihen Pflanzen, die trockene und nährstoffarme Böden lieben – wie die gelbblühende Sandstrohblume, das Federgras, das Gipskraut oder das Sonnenröschen. Mit ein wenig Glück kann man Eidechsen sehen, die über die Düne huschen, oder die „Blauflügelige Ödlandschrecke“, eine im Mittelmeerraum weitverbreitete Art. Auf dem Sandboden sitzend ist sie bestens getarnt; nur in der Luft zeigt sie ihre blauen Flügel, woher sie auch ihren Namen hat.
Die „Ingelheimer Sande“ werden in der Nähe des Naturschutzzentrums an der Neumühle unmittelbar sichtbar. Eine Dünenlandschaft mit der typischen Fauna und Flora. Die Mitglieder der Naturschutzgruppe Ingelheim (im Hintergrund) wünschen sich einen Ranger für dieses Naturschutzgebiet. Foto: Thomas Schmidt Foto: Thomas Schmidt
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Andernorts in den „Ingelheimer Sanden“ ist hiervon nichts zu sehen. Der Boden ist mit Moos bedeckt oder mit Brennnesseln überwuchert. „Es gibt hier zu viel Stickstoff“, erklärt Wolfgang Tschuck, Vorsitzender der Naturschutzgruppe. Was fehle, sei ein umfassender Pflege- und Entwicklungsplan für die „Ingelheimer Sande“. Es gibt aber auch die üblichen Interessenkonflikte. Straßenbau, Besiedelung, Landwirtschaft und Freizeitnutzung müssen mit dem Naturschutz unter einen Hut gebracht werden. „Es wäre schon viel erreicht, wenn die Verordnungen eingehalten würden“, meint Gerhard Haupt, stellvertretender NSGI-Vorsitzender. Doch auch das ist nicht gewährleistet. Ein Beispiel dafür sind die Hinterlassenschaften von Hunden oder Pferden, die als unliebsamer Dünger das Zuwachsen der Flächen fördern.
Dass es für Naturschutzgebiete Regeln gibt, dürfte den meisten Menschen bekannt sein. Doch was hilft das, wenn ein geschütztes Gebiet erst gar nicht als solches erkennbar ist? „Die Behörden stellen keine Schilder mehr auf“, moniert Wolfgang Tschuck. „Woher sollen die Leute wissen, wo das Naturschutzgebiet anfängt?“ Eigene Schilder aufstellen darf die Naturschutzgruppe nicht. Und so appelliert sie an das Land, die Gebiete zu kennzeichnen und zudem stärker zu kontrollieren. Es gibt zwar einen vom Land beauftragten Biotopbetreuer, der jedoch ist vor allem Ansprechpartner für Bürger und Verwaltungen. Und die Untere Naturschutzbehörde der Kreisverwaltung, die für den Vollzug der Rechtsverordnung zuständig ist, schreitet in der Regel nur ein, wenn sie Hinweise auf eine unzulässige Nutzung bekommt. „Wir bräuchten einen Ranger“, fordert Wolfgang Tschuck. Ein solcher könnte in den Naturschutzgebieten nicht nur Verstöße feststellen, sondern zugleich die Bürger für die Belange des Schutzgebiets sensibilisieren.