Die Spenden gehen drastisch zurück, Einnahmen bleiben aus: Das Ingelheimer Tierheim könnte in der Corona-Krise bald in Existenznot geraten.
Von Kirsten Strasser
Reporterin Rheinhessen
Tierpfleger Pascal Höfs mit Bulldogge Bijou.
(Foto: Thomas Schmidt)
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INGELHEIM - Die Stimmung bei den Tierhelfern ist nicht verzweifelt. Aber nahe dran. „Wenn die Krise noch lange anhält, weiß ich beim besten Willen nicht, wie wir das durchstehen sollen“, sagt Tierheim-Leiterin Melanie Weingart. Keine Frage – das Coronavirus bringt das kleine Ingelheimer Tierheim in Gefahr.
„Das Gute ist, dass die Tiere nicht wissen, was los ist“, sagt Melanie Weingart tapfer lächelnd. „Ihnen geht es gut.“ Es sind die Menschen hier, die in größter Sorge sind. „Es bröckelt gerade alles weg. Einnahmen, Spenden, Futtergaben – sie fehlen an allen Ecken und Enden“, sagt Barbara Blachnik vom Vorstand des Vereins.
Tierarztkosten pro Jahr rund 65.000 Euro
Die Corona-Krise hat den Alltag im Tierheim deutlich verändert. Nicht nur, dass ein Spender mit Desinfektionslösung am Eingang hängt – es findet kein Publikumsverkehr mehr statt, lediglich die Tierheimchefin, ihre Mitarbeiter und ausgewählte Ehrenamtliche dürfen aufs Gelände. Nur in Ausnahmefällen werden Interessenten eingelassen, die ein Tier aufnehmen möchten. Die Vermittlungsgespräche finden dann auf der überdachten Terrasse statt, an der frischen Luft – hier ist das Abstandhalten möglich. Doch solche Termine finden selten statt; im Tierheim sitzen derzeit fast nur noch Hunde, die als schwer vermittelbar gelten. Doch auch die haben zu normalen Zeiten eine Chance auf ein neues Zuhause – wenn sich ein Besucher, der einfach mal vorbeischauen will, in einen dieser „Schattenhunde“ verliebt. Doch nun: keine Gäste, kein Verlieben, keine Chancen.
Vieles also ist anders, doch manches eben nicht: Die Tiere brauchen nach wie vor Futter, Medikamente, tierärztliche Behandlungen. Nur um mal eine Größenordnung zu nennen: Im vergangenen Jahr betrugen allein die Tierarztkosten rund 65.000 Euro. Die fixe Fundtierpauschale, die die Stadt Ingelheim jährlich zahlt, deckt nur einen sehr kleinen Teil der Ausgaben. Das alles macht jetzt Angst. Was, wenn die kleine Hündin Ines tatsächlich eine Herz-OP zum Überleben braucht? Und wie lange kann sich das Tierheim noch die großen Futtermengen für „Riesen“ wie den Kangal Kemal leisten?
Spendenbereitschaft sinkt durch Coronakrise
„Da keine Leute mehr vorbeikommen, wirft auch keiner mehr ein paar Euro in die Spendenbox“, sagt Barbara Blachnik. Die Erlöse aus erfolgreichen Vermittlungen fehlen ebenso wie die Futterspenden, die in manchen Supermärkten gesammelt werden. Generell sinke die Spendenbereitschaft. „Das verstehe ich ja“, meint Barbara Blachnik, „die Menschen sind in Sorge, haben Angst um ihren Arbeitsplatz oder haben wegen Kurzarbeit weniger Geld zur Verfügung.“
Kurzarbeit – im Tierheim ein Fremdwort. „Ehrenamtliche, die zu einer Risikogruppe gehören, haben wir heimgeschickt“, sagt Melanie Weingart. „Die Gesundheit unserer Helfer steht an erster Stelle.“ Das heißt aber auch: Auf den verbliebenen Mitarbeitern lastet jetzt noch mehr Arbeit als vorher. Dazu kommt die Sorge: Was, wenn jemand an Covid-19 erkrankt – womöglich die Chefin oder ihr Stellvertreter? „Das darf einfach nicht passieren“, sagt Melanie Weingart.
Helferkreis muss klein gehalten werden
Gleichzeitig, erzählt Melanie Weingart, bekommt sie derzeit vermehrt Anfragen von Bürgern, die mithelfen wollen. Weil viele wegen Kurzarbeit zu Hause sitzen, Zeit haben, andere Aktivitäten kaum möglich sind. „Zu jeder anderen Zeit würden wir uns riesig über dieses Interesse freuen“, sagt die Tierheimchefin. „Doch derzeit nehmen wir keine neuen Ehrenamtlichen hinzu.“ Der Kreis der Helfer muss klein gehalten werden, um die Infektionsgefahr zu minimieren. Auch Anfragen, ob nicht ein Hund „ausgeliehen“ werden könne, bekommt Melanie Weingart immer wieder mal. Auch diese muss sie ablehnen. „Wir vermitteln unsere Bewohner nur in ein dauerhaftes Zuhause, alles andere wäre dem Tierwohl nicht zuträglich.“ Sie sagt: „Wer uns jetzt wirklich helfen will, spendet Geld oder Futter. Dafür sind wir sehr dankbar.“
Die Ingelheimer Tierhelfer sind mit einigen anderen Tierheimen vernetzt. Noch aus keiner Einrichtung hat sie von einem Fall gehört, in dem Menschen ihr Haustier loswerden wollten, weil sie Angst vor einer Corona-Übertragung hatten – wie in einigen Medienberichten immer wieder behauptet. Sie weiß allerdings von Tierheimen, die Tiere aufnehmen mussten, weil ihre Besitzer sich mit Corona infiziert hatten und ins Krankenhaus mussten. Daher ihr dringender Appell an alle Tierhalter: „Überlegen Sie rechtzeitig, wer sich um Ihr Tier kümmern kann, wenn Sie ausfallen.“