Bequem in alten Ingelheimer Gerichtsprotokollen stöbern
Der fünfte Band der Haderbücher ist komplett digitalisiert und eröffnet Geschichtsfreunden die Möglichkeit, vom Schreibtisch aus eine Zeitreise ins Mittelalter zu unternehmen.
Von Beate Schwenk
Die Startseite des digital aufbereiteten fünften Haderbuchs erklärt dem Leser, was ihn inhaltlich auf 570 Seiten erwartet. Screenshot: Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz/VRM
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INGELHEIM - Mit einem Mausklick mehr als 500 Jahre zurück in die Geschichte reisen: Diese Möglichkeit eröffnet die digitale Edition der Ingelheimer Haderbücher. Der nun vorgelegte fünfte Band über Gerichtsprozesse in Großwinterheim in den Jahren 1490 bis 1502 ist ebenso wie Band vier (Ober-Ingelheim 1518-1529) komplett digitalisiert. So kann man vom Schreibtisch aus bequem in alten Gerichtsprotokollen stöbern und sich ein Bild davon machen, wie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit gestritten und „gehadert“ wurde.
Die im Ingelheimer Stadtarchiv befindlichen Protokollbücher und Fragmente dokumentieren einen Zeitraum von insgesamt 147 Jahren (1387-1534). Die erhaltenen Bände werden seit 2010 vom „Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz“ (IGL) bearbeitet und nach und nach der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die ersten drei Bände erschienen in gedruckter Form. Mit Band vier erfolgte der Einstieg in die digitale Welt, der nun mit Band fünf seine konsequente Fortsetzung findet. Geplant ist zudem, die ersten drei Haderbücher ebenfalls online verfügbar zu machen.
„Diese Quelle ist in vieler Hinsicht einzigartig“, schwärmte IGL-Vorsitzender Professor Michael Matheus bei der Vorstellung des neuen Haderbuchs, das rund 570 Seiten umfasst. Man erfahre vieles über das Miteinander und Nebeneinander der Menschen in dieser Zeit, über Familienverhältnisse und Streitigkeiten, aber auch über Zuwanderung, die es damals schon in großem Umfange gegeben habe.
SEIT 2010
Das Projekt „Ingelheimer Haderbücher“ wurde 2010 von Dr. Werner Marzi initiiert. Die Ingelheimer Haderbücher gelten als die ältesten seriell erhaltenen gerichtlichen Textzeugnisse im deutschsprachigen Raum.
„Für die Haderbücher ist die Digitalisierung ein großer Schritt nach vorne“, bekräftigte IGL-Geschäftsführer Dr. Kai-Michael Sprenger, der mit dem jüngst verstobenen Historiker Dr. Werner Marzi die Projektleitung innehatte. Die digitale Edition erleichtere den Zugang und habe eine deutlich größere Reichweite. Modernes Design und klare Strukturen erlaubten einen schnellen Zugriff auf die Daten. Dass historisch interessierte Laien mit dem Text überhaupt etwas anfangen können, dafür hat Bearbeiter Dr. Stefan Grathoff mit seinem Team gesorgt. Die Protokolle, die geschulte Schreiber einst von den Gerichtsverhandlungen angefertigt hatten, wurden entschlüsselt und lesbar gemacht. Somit findet der Nutzer in der Online-Datenbank neben dem handgeschriebenen Originaltext zunächst eine Transkription und dann, für den Laien noch wichtiger, eine Übertragung ins Gegenwartsdeutsch. Zugreifen kann man außerdem auf ein umfangreiches alphabetisches Register mit Personen, Orten und Begriffen, die in den Gerichtsprotokollen auftauchen.
Wenn es Zank und Zoff im Dorf gab, ging es meist ums liebe Geld. Da hat man um Schadensersatz für ein verletztes Schwein gestritten oder um eine unbezahlte Handwerkerrechnung. Ein Wirtshausgast wurde vor den Kadi gezerrt, weil er die Zeche geprellt haben soll. Vor dem Ortsgericht verhandelt wurden aber auch andere Streitfälle wie Beleidigungen, Körperverletzungen oder Wirtshausschlägereien.
Mancher Eintrag, der auf den ersten Blick eher unscheinbar wirken mag, hat es aus Sicht der Experten in sich. Ein Beispiel ist die Erwähnung des Mainzer Buchdruckers Johannes von Kyrperg, über den bislang nichts bekannt war. „So ein Eintrag ist höchst brisant“, meinte Professor Matheus und kündigte hierzu weitere Forschungen an.
Die Publikation der Haderbücher erfolgt im Auftrag der Stadt Ingelheim, die weiter am Ball bleiben wird. „Wir freuen uns, dass wir das fortsetzen können“, betonte Oberbürgermeister Ralf Claus. Und weitere Bände werden folgen. „Ein Wackernheimer Haderbuch ist in der Mache“, ließ der OB wissen.