5278 Kilometer zu Fuß: Ein Ingelheimer auf Paulus' Spuren
Stefan Spangenberg ist unterwegs. Von Ingelheim aus nach Jerusalem - und das ganze zu Fuß. Er will nicht nur zu sich zurückfinden, sondern auch zu seinem Glauben.
Von Julia Krentosch
Redaktionsleiterin Lokalredaktion Mainz
Blick auf den Ohrid-See: eine holländische Reisegruppe fotografiert Stefan Spangenberg samt Monowalker in Albanien.
(Foto: Stefan Spangenberg)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
INGELHEIM/ANTALYA - Stefan Spangenberg ist auf dem Weg. Zu sich, zu seinem Glauben – zu Fuß. Von Ingelheim aus Richtung Jerusalem, 5278 Kilometer auf den Spuren des Apostels Paulus. Der 60-Jährige sucht das Abenteuer und den interkulturellen Dialog, will Länder entdecken, fremde Menschen und Kulturen kennenlernen. Seit Mai ist er auf der Strecke. 233 Tage, die er seinem an Multiple Sklerose erkrankten Sohn Martin widmet. Wenn Spangenberg die Christmette mit der deutschen Nikolausgemeinde in Antalya feiert, dann sind seine Gedanken bei ihm. Und bei Lebensgefährtin Iris, die Weihnachten weit weg verbringt. Zu Hause im über 4500 Kilometer entfernten Ingelheim. Mit Baum, Gottesdienst und allem, was zum Fest dazu gehört. Nur eben ohne Spangenberg.
Der ist seit Donnerstag in Antalya, macht über Weihnachten Pause. Ein Innehalten auf einem langen Weg, dessen Ende jetzt langsam in Sicht kommt. Ende Januar läuft er durch Zypern, dann geht es mit dem Flieger nach Israel. Mitte Februar nimmt ihn Pfarrer Tobias Schäfer am Damaskus-Tor in Empfang. Und so schließt sich der Kreis, denn es war Schäfer, der Spangenberg auf die Idee brachte, den Monowalker umzuschnallen und sich auf den Weg zu machen. Vor fünf Jahren war das, als Spangenberg mit der katholischen Kirchengemeinde St. Remigius zu Besuch bei Schäfer in Israel war. Plötzlich war er da, der Gedanke: zu Fuß nach Jerusalem. Gerade hatte er ein Buch gelesen, in dem eine Gruppe Österreicher genau davon erzählt. Die Geschichte elektrisiert Spangenberg. Noch in Israel verkündet er: „Ich laufe nach Jerusalem!“ Fünf Jahre später ist er in Rente gegangen, hat Türkisch gelernt – und ist unterwegs.
Inzwischen ist das erste paar Stiefel durchgewetzt, die Vorstellung von der spirituellen Einkehr hat sich mit der Realität arrangiert. Anstrengende Tage liegen hinter Spangenberg, gerade hat er das Taurusgebirge überquert. Es ist kalt in Anatolien. Nachts gefriert es, tagsüber klettert das Thermometer selten über vier Grad. Der Ingelheimer hat sich die letzten Tage durch Regen und ersten Schnee gekämpft. Jeden Abend froh, ein Quartier gefunden zu haben. Zu Hause das sichere Dach über dem Kopf, unterwegs schon dankbar für Badelatschen und Schlafsack. Zweimal schon ist Spangenberg abends in einem kleinen Dorf ohne Pension gestrandet, zweimal haben ihm die Dorfvorsteher Betten in Abstellkammern oder Schuppen besorgt. Der Weg macht bescheiden.
Weihnachten unter Fremden feiern
Und er entschleunigt. Die Langsamkeit des Laufens – vor ein paar Monaten noch wäre sie unerträglich gewesen für einen Mann, der in seiner Freizeit Ultramarathon läuft. Heute kann Spangenberg seinen Gedanken freien Lauf lassen. Er betet viel, denkt an seinen Sohn. Martin, heute 36, hat seine Diagnose vor vier Jahren bekommen: Multiple Sklerose. Zwei heftige Schübe setzen dem jungen Mann damals derart zu, dass sich sein Leben für immer verändert. Plötzlich ist das Gedächtnis weg. Der rheinland-pfälzische Landesverband der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) ist in dieser Zeit eine Stütze – Spangenberg will das zurückgeben. Unterwegs sammelt er Spendengelder für den Verein, fast 7000 Euro hat er schon zusammen.
Diese Strecke legt Spangenberg auf seiner Reise zurück:
Zwischen 30 und 40 Kilometer läuft Spangenberg an sechs Tagen der Woche. Am Siebten macht er Pause, wäscht seine Kleider, schreibt Tagebuch und Blogbeiträge. Sie helfen ihm, die vielen Eindrücke zu verarbeiten, von der Via Egnatia oder der Mönchsrepublik auf dem heiligen Berg Athos, die Begegnungen in Teehäusern und auf der Straße. Oft sind sie kurz und oberflächlich, der Monowalker macht neugierig. Aber oft genug trifft Spangenberg auch Menschen, die freundlich sind und hilfsbereit. Die unabhängig von Religion oder Nationalität zu Freunden werden. „Wären wir Deutschen einem Wanderer gegenüber auch so hilfsbereit?“, fragt sich Spangenberg oft und fürchtet, sie wären es nicht. Er hatte ja selbst Vorbehalte, als er sich mit dem Gedanken beschäftigt hat, durch Albanien und die Türkei zu laufen, fernab von jeder größeren Stadt. Unwissenheit und Fremde machen häufig Angst, das hat Spangenberg jetzt gelernt. Den Respekt und die Hilfsbereitschaft, die er unterwegs erfahren hat, will er künftig zu Hause weitergeben. Vielleicht auch ein bisschen von seinem Durchhaltevermögen, von der Verrücktheit und dem Gottvertrauen.
Aber nicht heute. Heute will Spangenberg mit der deutschen katholischen Nikolausgemeinde die Christmette feiern. Als Fremder in Antalya, aber aufgehoben in der Gemeinschaft der Gläubigen, hofft er. Denn Weihnachten ist weit weg in der größtenteils muslimischen Türkei. In zwei Hotels hat Spangenberg Plastikbäumchen gesehen, ansonsten erinnert hier nichts an das christliche Fest. Aber so kann er weit weg von den Lieben auch nicht wehmütig werden, meint Spangenberg. Seinen 60. Geburtstag hat er ja auch alleine verbracht, auf dem Weg von Griechenland in die Türkei. Komisch ist sie trotzdem, die Vorstellung, Weihnachten unter Fremden zu feiern. „Vielleicht wird mir, wenn es so weit ist, dann doch ein bisschen weh ums Herz.“ Denn es gibt unterwegs eben auch solche Tage. Tage, an denen es stürmt und regnet, an denen die Füße wehtun und jeder Schritt eine Qual ist. An denen Spangenberg allein ist mit sich und seinen Gedanken und sich fragt, warum er sich das antut. Warum er jeden Morgen auf Neue sein Zeug packt, den Monowalker umschnallt und losläuft, ohne zu wissen, wo er am Abend, an seinem Geburtstag, an Weihnachten sein wird. Es ist das Abenteuer, das ihn durchhalten lässt. Das Versprechen auf einen spektakulären Ausblick, wenn er sich erst den Berg hochgequält hat.