20 Jahre Improvisationstheater „RequiSiT“ in Ingelheim
Mit ihrem abwechslungsreichen Programm betreibt die Theatergruppe aus Hessen Suchtprävention an hiesigen Schulen. Ihr Konzept: Erst spielen, dann mit den Schülern sprechen.
Von Marcel Fennel
Redakteur VRM zentral
Die Theatergruppe „RequiSiT“ um Praktikantin Aurelia Mazari, Nora Staeger, Gerhard Dautzenberg, Heinz Neffgen und Massimo Barone, (v. l.) ist zum 20. Mal in Ingelheim zu Gast.
(Foto: Thomas Schmidt)
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INGELHEIM - Plötzlich hat Heinz Neffgen etwas auf dem Boden entdeckt. „Oh, schaut mal. Ein Maikäfer!“, ruft er seinen hinter ihm knienden Mitstreitern zu. „Aber der hat ja nur einen Punkt“, stellt Neffgen erschreckt fest. Als auch die anderen diese Entdeckung machen, geht ein großes Raunen durch die Gruppe. „Der arme Maikäfer“, lautet das einhellige Urteil. Noch keiner von ihnen hat zuvor einen Maikäfer mit nur einem Punkt auf dem Körper gesehen. Und wird es auch in Zukunft nicht tun.
Denn das, was Neffgen da scheinbar auf dem Boden gesehen hat, ist in Wirklichkeit gar nicht da. Nun könnte man meinen, er hätte Halluzinationen. Doch in Wirklichkeit ist Neffgen einfach nur ein guter Schauspieler. Einer, der mit der Hattersheimer Theatergruppe „RequiSiT“ in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz unterwegs ist, um Suchtprävention zu betreiben.
Seit 1999 führt der Weg von „RequiSiT“ auch regelmäßig nach Ingelheim. Was vor 20 Jahren – nicht nur sprichwörtlich – im Sebastian-Münster-Gymnasium (SMG) zum ersten Mal über die Bühne ging, findet mittlerweile im Kultur- und Jugendzentrum Yellow statt. Sechs Tage in Folge tritt die Theatergruppe dort vor jeweils etwa 100 Neunt- und Zehntklässlern auf. Diese kommen 2019 vom SMG, der Integrierten Gesamtschule, den Realschulen Plus Gau-Algesheim und Ingelheim, der Albert-Schweitzer-Schule und der Berufsbildenden Schule Ingelheim.
Die Schüler sind jedoch nicht nur Zuschauer; sie gestalten das Bühnenprogramm aktiv mit. Das funktioniert so: Die Schüler geben den Theater-Schauspielern – allesamt ehemalige Süchtige – Themen vor, die diese dann spontan und kreativ in Szene setzen. Von Nacktschnecken über Polizeieinsätze bis hin zu freizügigen Situationen – die Vorschläge der Jugendlichen sind breit gefächert. Allerdings gibt es auch Tabu-Themen. So dürfen keine Suchtsituationen nachgespielt werden.
Durch das enge Zusammenspiel werden ein erster Kontakt und eine offene Atmosphäre zwischen Publikum und Schauspielern hergestellt. Dieser dient als Türöffner für die anschließenden Gesprächsgruppen. Dort erhalten die Schüler nicht nur Informationen über Wirkung und Gefahren des Suchtmittelkonsums. Sie können auch alles fragen, was ansonsten verschwiegen oder tabuisiert wird. Zudem geben die speziell dafür ausgebildeten Schauspieler Einblicke in ihr Leben während der Abhängigkeit.
Diese Offenheit macht die Akteure glaubwürdig und authentisch und schafft so ein Vertrauensverhältnis zwischen ihnen und den Jugendlichen. „RequiSit erreicht die Schüler besser, weil nicht mit erhobenem Zeigefinger kommuniziert wird“, erklärt die Leiterin der Theatergruppe, Nora Staeger. Auch Maren Herfuth, Präventionsbeauftragte und Suchtberaterin am SMG, und Barbara Tillmann von der Sucht- und Jugendberatung sind voll des Lobes für die Auftritte von „RequiSiT“. Eine tolle und sinnvolle Ergänzung unserer Präventionsarbeit sei das, sagt Tillmann.
Dass die Theatergruppe auch bei den Schülern gut ankommt, zeigen nicht nur die Rückmeldebögen, die sechs Wochen nach der Veranstaltung in den Klassen ausgeteilt werden. So schreibt beispielsweise eine Ingelheimer Teilnehmerin im Gästebuch der RequiSiT-Homepage: „Auch mir hat es heute sehr gut gefallen, das Improtheater war lustig. Danke für das offene Gespräch danach! Betroffene anzuhören ist deutlich eindrücklicher als irgendwelche Vorträge in der Schule.“
Ein viel größeres Lob könnte es für Heinz Neffgen und seine Mitstreiter kaum geben.