Erhard Reuter, Leiter des Posaunenchors Merzhausen-Lauken, steigt jeden Abend auf den Kirchturm und macht den Merzhäusern mit seiner Musik ein bisschen Mut.
. MERZHAUSEN (cju). Wenn Erhard Reuter den Weg zum evangelischen Gotteshaus ansteuert, dann weiß er das ganze Dorf hinter sich. Seit über einer Woche erklimmt er Abend für Abend die Stufen hoch zum Kirchturm, um von dort mit seiner Trompete seine Weisen zu spielen. "Ich habe Sonntag vor einer Woche den Aufruf mitbekommen, dass aus den Fenstern und Balkonen Musik gemacht werden soll", so der Leiter des Posaunenchors Merzhausen-Lauken. Das hatte einen so intensiven Eindruck bei ihm hinterlassen, dass er sofort mit der "Ode an der Freude" mit von der Partie war. "Freude schöner Götterfunken", so der Eingangstext. Das kann heutzutage zwar nicht mehr jeder, aber der älteren Generation ist es auf jeden Fall im Gedächtnis. Seine Tochter Daniela filmte den Vater und stellte das Video bei Facebook ein. "Das hat so viel Zustimmung erfahren, dass ich mich ermutigt fühlte, weiter zu machen", so Reuter. Allerdings geht es ihm nicht darum, möglichst viele Likes zu erhalten. Er möchte in den Zeiten von Corona seinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern Hoffnung machen und ihnen so mitteilen, dass sie zwar vielleicht im Moment "allein sind, aber nicht allein gelassen". Deshalb eilt er jetzt jeden Abend nach dem Abendläuten, welches traditionell um 18 Uhr stattfindet, die Stufen zum Kirchturm hinauf. "Dort oben ist es eng und ich bin ganz nah an den Glocken dran", erklärt er, "also muss ich auch vorsichtig sein". Für eine zweite Person wäre es zu eng - also kein Problem mit dem Kontaktverbot, wie er lachend betont.
Seit er damit angefangen hat, vom Kirchturm aus seine hoffnungsbringende Musik zu spielen, hat ihn die Dorfgemeinschaft immer wieder mit Applaus unterstützt. Einige Geburtstage gab es in den vergangenen Tagen und Reuter spielte nicht nur "Amazing grace", "Von guten Mächten wunderbar geborgen" oder den irischen Reisesegen, sondern auch ein flottes Geburtstagsständchen. "Spiel mal Happy birthday", wurde ihm von unten zugerufen und das hat er dann auch gerne getan. Auch Verwandte und Schulkameraden hat Reuter so mit einem Solo erfreut. So feierte beispielsweise sein Cousin Otto Reuter seinen 70. Geburtstag und bekam einen musikalischen Gruß. "Normalerweise sind wir ja viel mehr Musiker", bedauert Reuter. Aber in diesen schwierigen Zeiten sei er eben allein beim Spielen.
Die Merzhäuser Kirche ist natürlich auch nicht für Gottesdienste geöffnet. Diese sind bis Ende April abgesagt. Doch Reuter darf auf den Kirchturm und so den Menschen von oben spielend erklären, dass sie nicht allein sind. "Ich möchte meine musikalische Ader ausleben, aber auch anderen Mut machen", betont Reuter. Seine Frau verweist noch darauf, dass zwar die Gottesdienste abgesagt sind, aber dass an jedem Sonntag um 9.30 Uhr die Glocken der Kirche zum Gebet aufrufen. Das kann dann jeder bei sich zuhause tun und sich so seinen Mitmenschen verbunden fühlen. Und so wird Erhard Reuter noch viele Abende nach dem Abendläuten über den Dächern von Merzhausen spielen - verbunden mit der Hoffnung, dass die Corona-Krise bald überwunden und damit wieder ein normales Leben möglich ist. Denn Merzhausen hat dieses Jahr ein besonderes Jubiläum - es wird 900 Jahre alt und dazu sind noch einige Feiern geplant.