Jugendsprache: Tempo, Spaß und Kreativität zählen in der...

Schneller schreiben: Die Rechtschreibung bleibt eher hintendran, wenn Jugendliche sich per "WhatsApp" austauschen. Die Kürzelsprache hat ihre eigenen Codes - die auch nicht jeder Erwachsene verstehen soll. Grafik: VRM/mb

Was Jugendliche bewegt, wird von ihnen ständig neu buchstabiert - so erleben Pädagogen den Wandel der Verständigung. Die läuft meist über digitale Kanäle, sagt Anne...

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DARMSTADT. Berühmt sein war vorgestern. Heute heißt es sage und schreibe: "Du bist fame". Und wer sich als Jugendlicher auf die Erfolgsspur der Youtuber begibt, der neureichen Teenie-Idole des Internet-Geschäfts, der ist am "famen". Zugegeben: nicht berühmt, diese Rechtschreibung. Auch das Einbauen von Anglizismen ist ja nichts Neues für die deutsche Sprache. Aber seit Kinder und Jugendliche mehr in der Multimediawelt unterwegs sind als auf der Straße, verändern sich Schreibweisen so rasant wie nie. Untergang des Abendlandes? Nein, das hat auch was Erfrischendes, sagen die Fachleute vom Institut für Medienpädagogik in Darmstadt. Die staunen selbst immer wieder über den Erfindungsreichtum, der ihnen täglich in den Klassenzimmern begegnet.

Was die Jugendlichen bewegt, wird von ihnen ständig neu buchstabiert - so erleben die Pädagogen den Wandel der Verständigung. Die läuft meist über digitale Kanäle, sagt Anne Schmitt, die viel mit Schülern ab der siebten Klasse arbeitet. Die Multimediawelt wiederum liefert die Haupthemen für die Mädchen und Jungen. Daher kommen Neuschöpfungen wie "ego-googlen", "ego-surfen" und "napflixen" - Letzeres ein Verb fürs Nickerchen vorm Heimkino. Man sieht, "da ist auch viel Selbstironie dabei", sagt Peter Holnick, Geschäftsführer des Instituts. Wie man's richtig schreibt? Zweitrangig, sagen die Fachleute. Hauptsache schnell.

Bei allem Spaß an kreativen Wortfindungen wie "I bims" (gerade zum Jugendwort des Jahres gewählt): Beim Tippen mit Tempo geht natürlich einiges verloren, sagt Holnick. Das ist nicht nur unter Jugendlichen ein Problem. "Der Effizienzdruck in unserer Gesellschaft macht sich auch in der Sprache und beim Schreiben bemerkbar", sagt der Medienexperte. "Kommunikation wird hektischer, dadurch auch verlustreicher."

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Seine Kollegin Schmitt berichtet von Bürogemeinschaften, in denen durchgängig in Kleinbuchstaben geschrieben wird. Andere Firmen hätten interne Mails ganz abgeschafft - weil es nur aufhält, die alle zu beantworten. Jetzt jagen die Kollegen ihre Mitteilungen per "WhatsApp" von Smartphone zu Smartphone. Rechtschreibung? Glückssache. Abkürzungen sind die Regel - und die Quelle von Missverständnissen, sagt Holnick.

Denn wenn die Botschaften allzu knapp ausfallen, werden sie zugleich vage. Bieten Raum für falsche Interpretationen. "Das ist, was viele Siebtklässler am meisten stört", sagt der Medienpädagoge. Die Missverständnisse seien manchmal gar der Anfang eines Mobbing-Prozesses.

Die Kürzel, Neuschöpfungen und spaßigen Rechtschreib-Dreher funktionieren meist nur in einer kleinen Gruppe. Meist eine Clique innerhalb eines Jahrgangs oder einer Klasse, sagt der Pädagoge: "Die Schule ist das am stärksten bindende Element." Und je mehr Kulturen in einer Klasse, desto bunter die Sprache. Da werden dann nicht nur Englischvokabeln mit dem Umgangsdeutsch neu verlötet, sagt Anne Schmitt. "Die Schüler eignen sich auch arabische oder türkische Wörter an; das ist ja Normalität für die, dass Dinge in anderen Sprachen ausgedrückt werden." Dann heißt es: Lassma lesen, yallah!

Also Anarchie auf allen Kanälen? Interesse am Rechtschreiben nach Duden-Regeln zeige kaum ein Jugendlicher, sagt Peter Holnick. "Sich für einen Buchstabier-Wettbewerb anzumelden ist heute etwa so elitär wie Ballett-Tanzen." So ganz egal ist den Jungen eine korrekte Ausdrucksweise aber auch nicht. Anne Schmitt hat das in ihren Workshops beobachtet. Wenn es darum geht, einen selbst produzierten Internet-Comic online zu stellen, wird jeder Sprechblasen-Text auf seine Richtigkeit geprüft. "Sobald es öffentlich wird, muss es stimmen", sagt sie. Klar - sonst gibt's ja auch kein fame.